Sonntag, 30. August 2020

Das Sein bestimmt das Bewusstsein

Marx, das war für mich das Ding, nach dem das Sein das Bewusstsein bestimmt. 

Lange Jahre wagte ich nicht daran zu zweifeln. Bestimmte da mein Sein das Bewusstsein? Mein Sein war ja durch eine sich immer weiter bessernde Mittelexistenz eines Beamten bestimmt, der auf seine öffentliche Meinungsäußerung achten musste. Da wäre es doch gut gewesen, an einer marxistischen Doktrin zu zweifeln und eher den bürgerlichen Standpunkt einzunehmen, nach dem das Handeln über das Verhandeln, also eine Angelegenheit des Bewußtseins kommen sollte. 

Es bestimmte wohl eine Menge Ideologie, Philosophie, Moral und Religion eher mein Sein als jenes diese. Und im Osten ging ja denn auch die Sonne der Fahnenschwenker und Verlautbarungen eher auf als das Licht der Aufklärung. Dort arbeitete man doch am Sein vorbei, das sich nach Kühlschrank und PKW sehnte. 

Wie oft bestimmt auch der Schein das Bewusstsein, sei es der aus dem Geldautomaten, sei es der aus der Werbung, dem Netz oder der Hetze von Vertretern einer reinen Lehre. 

Es wird wohl bei der Binsenweisheit bleiben, nach der das Bewusstsein Teil des Seins ist und von ihm wie von seiner biographisch geprägten Ansicht, Kritikfähigkeit und Urteilskraft bestimmt wird und Handeln bewirkt. 

Wäre es nicht einfach und leichter gewesen, weiter zu glauben wie an ein religiöses Dogma?

30.8.20 Klaus Wachowski 

Freitag, 28. August 2020

Mein Freund W

Mein Freund W

Die letzten Begegnungen hatte ich wohl in den 70ern. War er es, der mich um Unterstützung für einen RAF-Mann bat? Unglaublich wie weich das Gewebe meines Gedächtnisses ist. Wir kamen schon eher aus der Anarcho-Ecke. Er könnte es schon gewesen sein. Ich lehnte ab - aus Angst. Wie sich später zeigte, war das anständiger so. Schon früher hatte ich unsere Sache verraten, indem ich -ebenfalls aus Angst- den Wehrdienst nicht verweigerte, sondern ableistete. Und ich ließ mir ohne großen Widerstand die Haare schneiden. Ich scheute nach solchem Verrat 20 Jahre den Kontakt.

Der Zug fährt gerade an einem gewaltigen Betonblock von Büros vorbei. Ruhm des Architekten! - Unser Ding war eher amerikanischer underground oder was wir darunter verstanden. "Grassroots".

Meine Umarmung - ich kam aus frischer therapeutischer Erfahrung- war wohl etwas zu stürmisch. Er war unangenehm überrascht, hatte gerade den Marathon Blues Brothers hinter sich, Regisseur und Hauptrolle und hätte wohl etwas Applaus statt plötzliche seltsame Freude von seltsamem Freund verdient, reagierte kalt. Ich nahm es ihm, vermutlich doch zu Unrecht, übel und schloss das Kapitel.

Nun sagt man mir, er sei nach unserer - vor etwa 18 Jahren erfolgten - letzten Begegnung verstorben. Ein Unfall.

Er war der freiere, mutigere von uns geblieben, ich der verantwortlicher Brave. Anarchistisch gesprochen war ich mehr nach Kropotkin, er mehr nach Bakunin gegangen. Nach Marx gehörten wir wohl beide der gleichen kleinbürgerlichen Pfälzer Jodeltruppe an. Er liberaler Schwärmer, ich sozial verdrehter Prediger unterm Dach.

Warum konnte man, ich, nicht mit dem Einordnen aufhören und einfach nur Freund sein?

Wir lernten uns kennen, indem wir einander das Wort "Faschist" an den Kopf warfen. Wir versuchen einander in den Wellenkämmen der ideologischen Strömung zu halten, lachten und fluchten über eine Welt von Spießern. Er verdiente dann an ihrem Applaus, ich in ihren Behörden...

Ein chinesischer Text fällt mir ein: Fan Dschung-yän Gedenkschrift für den Yüe-Yang-Pavillon; (Aus der Ruf der Phönixflöte, Rütten&Loening Berlin DDR 1973 S 338/9)

"Ach, oft hab ich gefragt, worin die Alten in ihrer Güte anders waren als wir! Der Schein der Dinge machte sie nicht glücklich, nicht traurig stimmte sie das eigne Leid. Wenn sie am Hof in hohen Ehren standen, erfüllte sie das Leid des Volks; waren sie verbannt, erfüllte sie der Schmerz um ihren Herrn. In Ehren litten sie und in Erniedrigung ."

In der Republik ist der Schmerz um die Herrschaften geringer, der um die Republik und die Freunde größer.

Wir dachten wohl beide im Stillen stets an die Begeisterung unserer Jugendzeit. Er blieb dem Geist der Freiheit weniger bedingt treu, ich versuchte, nicht immer mit Erfolg, diesen Geist mit dem der Verantwortlichkeit abzustimmen.

Aus meiner Erinnerung leuchtet unsere damalige gemeinsame Begeisterung über meinen Weg. Es gibt einige Lichter von dieser Sorte. Wie grau es ohne sie wäre!

28.8.2020

Donnerstag, 20. August 2020

Großes Dau und Forum Maidan, An die neuen Fürsten

Es braucht keinen Kaiser, gerecht zu handeln.
Die Versammlung der Bürger weiß besser, was sie will.

Zerfällt ein ideologisches Wahngebilde haben alle Möglichkeiten des Handelns wieder ihre Freiheit.

Es zeigt sich, dass zuerst die Freiheit missbraucht wird, um reich auf Kosten von anderen zu werden. Um den Reichtum nicht gleich wieder zu verlieren, kauft man sich Macht über Korruption der Apparate oder Geschenke an die Wähler, und sei es nur die Droge Sport, Kunst, Medien.

Rasch gibt es gewaltige Armut und Ohnmacht im Verhältnis zur Vorzeit. Der unter Korruption an Verlust des Ansehens leidende Apparat, das mit dem Verbrechen allein gelassene Volk schliessen sich zusammen, um einem Intriganten der Herrschaft zu folgen. Man verachtet, ja belauert die Freiheit und ihre Verfechter. Populismus und autoritäre Lumpen errichten neue Familienherrschaften. Es ist nicht mehr der Fürst, es ist der Führer. Nicht der Sultan, der Einpeitscher. 

Du befindest Dich wieder in der vorrevolutionären Zeit. Danke, Ideologe! Die Republik erstarrt im Faschismus.

Was sagt das "Buch der Riten" über den Untergang der "Großen Gemeinsamkeit"?

(Aus dem Ruf der Phönixflöte 1973)
" ...Das nannte man Große Gemeinsamkeit.

Heutzutage aber ist das Große Dau in Vergessenheit geraten, alles unter dem Himmel ist zum Alleinbesitz vornehmer Familien geworden, jeder sieht nur in den
eigenen Eltern seine Eltern, nur in den elgenen Kindern seine Kinder und trachtet danach, brauchbare Dmge und seine Kräfte nur zum eigenen Vorteil zu verwenden. Die
Mächtigen haben die Erblichkeit ihrer Herrscherrechte zum obersten Gesetz aller Riten gemacht; Wälle und Gräben werden zum Schutz ihrer Herrschaft errichtet; mlt Ritual- und Verhaltensregeln zähmen sie die Menschen, um zwischen Herrscher und Untertan Loyalität, zwischen Vater und Sohn Pietät, zwischen älterem und jüngerem
Bruder Eintracht, zwischen Mann und Frau Harmonie herzustellen. Standesunterschiede wurden festgesetzt,
Acker und Anwesen abgegrenzt, die Kühnen und Listigen ausgezeichnet, und Verdienste nahm man nur für sich selbst in Anspruch. So begann man hinterhältige Pläne
auszuhecken, und damit setzte der Gebrauch von Waffen ein. Aus diesen Gründen wurden die weisen Herrscher des Altertums Yu, Tang, Wen, Wu und der Herzog von Dschou auserkoren. Diese sechs erlauchten Persönlichkeiten bemühten sich allesamt geflissendich um die Riten. Sic benutzten sie, um rechtschaffenes Verhalten und Vertrauenswürdigkeit darzutun, und wiesen damit Fehler nach, setzten Beispiele von Güte und übten höfliches Betragen, um dem Volk feste Regeln zu geben. Wer diese Regeln mcht befolgte, wurde beseitigt, und wenn er auch zu den Mächtigen zählte; denn das Volk sah in ihm einen Schädling. Das nennt man Kleines Wohlergehen."

Du bist Bekenner/in der Republik. Das Beratschlagen höherer Gewalttäter mit schlauen und dummen Knechten über die beste Lenkung und Nutzung "des Volkes" ist Dir mehr als genug Zumutung. Aber mit diesem alten Weisen aus China teilst Du die Einschätzung Deiner Lage, wie nicht anders als mit den Schriftstellern Roms, Athens Frankreichs ppp. Laß Dich nicht blenden vom Wir allein des Alleinherrschers, vom Ich der Dschungelwelt und vom Du der Oligarchie, nicht von den Märchen der Ideologien.

Und gehe mit Deinen Nachbarn und den Schildern "Freiheit", "Gleichheit" und "Brüderlichkeit" auf den Maidan!

Die Beobachtungen des alten Chinesen finden sich in der Sammlung "Der Ruf der Phönixflöte" DDR-Verlag Rütten & Loening, Berlin 1973 Band 1 S 168/169 Aus dem Buch der Riten

Montag, 3. August 2020

Zu Wittgenstein philosophische Untersuchungen - Abschluss

Zu Wittgenstein philosophische Untersuchungen

   Die Schwierigkeit Wittgensteins sehe ich in der Schwierigkeit der Philosophie nach Kant und Schopenhauer überhaupt: man wollte sich weiterhin eigene Gedanken machen. Auch nicht ganz klare, wogegen ich nichts habe. Denn  ich selbst möchte meine Freiheit nicht in ein vorgefertigtes System pressen lassen. Aber mein Ergebnis muß ich schon an vorliegender Erkenntnis überprüfen. 

   Was für ein erkenntnisphilosophischer Unfug etwa, den Willen  zum Leben auf einen Willen zur Macht zu verkürzen, wie es der überschätzte romantische Metaphernjäger Nietzsche tat. Zu Hegel hat Schopenhauer genug gesagt, zu Marx Hannah Arendt. 
Was bezweckte Wittgenstein? Er vermischt Gegenstände und Vorgänge der Vorstellung mit solchen des Willens. Die Trennung dieser beiden Sphären der gleichen Welt scheint ihm nicht eingegangen zu sein. Hat er seinen Schopenhauer oder Kant nicht gelesen? Und wenn doch, was war seine Haltung dazu, seine Erkenntnis daraus? Das Folgende erscheint mir wie der Versuch, schwammige Begrifflichkeiten in schlammige Wasser zu spülen. 

   Ich habe nicht mehr die Ausdauer, die Erkenntnisse nach Kant und Schopenhauer in großem Umfang gegen dunkles Denken hoch zu halten. Einige Anmerkungen mögen genügen:
Aus den philosophischen Untersuchungen (bei suhrkamp):

„IV

»Ich glaube, daß er leidet.«—Glaube ich auch, daß er kein Automat ist? 

Nur mit Widerstreben könnte ich das Wort in diesen beiden Zusammenhängen aussprechen….“

   Woher das Widerstreben? Das eine glauben bezieht sich auf das Fühlen einer Person (oder eines Automaten), das andere auf meinen Rückschluß aus der Vorstellung eines Objekts auf das, was es an sich ist: Person, Ich noch einmal, oder Automat. Welche Bemerkung durchaus zur Erläuterung der ersten dienen kann, etwa einem Philosophen gegenüber: „Ich glaube, daß er leidet, denn er ist meiner Meinung, meinem Glauben, Dafürhalten nach, kein Automat.“

„(Oder ist es so: ich glaube, daß er leidet; ich bin sicher, daß er kein Automat ist? Unsinn!)“ Die Ausführung dazu, warum diese Möglichkeit ein Unsinn sein soll, bleibt Wittgenstein schuldig. 

„Denke, ich sage von einem Freunde: »Er ist kein Automat.«— Was wird hier mitgeteilt, und für wen wäre es eine Mitteilung? Für einen Menschen, der den Andern unter gewöhnlichen Umständen trifft? Was könnte es ihm mitteilen! (Doch höchstens, daß dieser sich immer wie ein Mensch, nicht manchmal wie eine Maschine benimmt.)“ 

   Ja eben! Nur: Was ist unzutreffend, überflüssig, Unfug daran? 

"„Ich glaube, daß er kein Automat ist“ hat, so ohne weiteres, noch gar keinen Sinn."

   Das ist aber doch sehr zu bestreiten! Kann doch je nach Kontext und Haltung aller möglicher Sinn in der Frage liegen. Etwa der aus der Sache (Welt als Vorstellung): es macht den Eindruck, als handle er -wie ich- aus einem inneren eigenen Antrieb. Oder aus der Motivation (Welt als Wille): er ist für sein Handeln selbst verantwortlich, an seinem Leiden selbst schuld, man habe Erbarmen/kein Erbarmen mit ihm….

   Auf letzteres scheint der folgende Schluß zu zielen:

„Meine Einstellung zu ihm ist eine Einstellung zur Seele.“ 

   Zur Seele? Oder zur Frage, ob es eine Seele gibt? Nehme ich sein Leiden eher als Motiv zum Handeln oder als bloße Ergänzung eines Sachverhalts war? Oder – wie oft – als beides gleichzeitig?
*
   Hier gehe ich in mein Seniorenzimmer zurück und beschließe, ein Schläfchen zu halten. Im Bewusstsein, ein verzwicktes Rätsel für mich gelöst und eine Nebelbank überwunden zu haben.

   Was es mir hilft? Es gibt eben doch Glück z.B. der Erkenntnis. Da bin ich bei gleicher Gewißheit und großer Dankbarkeit doch gegenteiliger Meinung zu Schopenhauer.

                                            3.8.2020 Klaus Wachowski 

Sonntag, 2. August 2020

zu Wittgenstein- philosophische Untersuchungen 1

573. "Eine Ansicht haben ist ein Zustand.——-Ein Zustand wessen? Der Seele? des Geistes? Nun, wovon sagt man, es habe eine Ansicht? Vom Herrn N.N. Zum Beispiel. Und das ist die richtige Antwort."

Ist das so?
Eine persönliche, von den Wertungen und Auffassungen anderer unterschiedene, sich aber nicht unbedingt unterscheidende Vorstellung haben.

Die Haltung einer Person scheint auch mir mit "Zustand" ihrer Vorstellung und ihres Wollens stimmig bezeichnet zu sein.

Was ist daran Problem?

"Man darf eben von der Antwort auf die Frage noch keinen Aufschluss erwarten."

Aufschluss worüber?

Ich darf sehr wohl von der Antwort auf meine Frage Aufschluss erwarten. Ein mehr an Gewissheit. Hier etwa darüber, dass es zum Zustand des "Ansicht habens" auch ein Subjekt gibt, N.N. zum Beispiel.

"Fragen, welche tiefer dringen, sind: Was
sehen wir, in besonderen Fällen, als Kriterien dafür an, dass Einer
die und die Meinung hat?"

Weitere Fragen... Dringen Sie tiefer? Ich denke, sie betrachten eine weitere, eine andere Sache. Die Kriterien unterschiedlicher Motive, deren Gründe und Absichten interessieren in Fällen der Beurteilung von Handlungen und Haltungen. Was geht da tiefer? Der Wunsch das Rätsel von Wahrheit zu lösen...

"Warum sagen wir: er sei damals zu dieser Meinung gekommen? Wann: er habe seine Meinung geändert? usw. "

Warum? Aus diesen und jenen Gründen der Beobachtung, des Interesses, der Spekulation und Ansicht.
Wann? Das kommt auf die Umstände meines interesses an.

"Das Bild, welches die Antworten auf diese Fragen uns geben, zeigt was hier grammatisch als Zustand behandelt
wird. "

Wittgenstein philosophische Untersuchungen.

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wird hier überhaupt etwas "grammatisch" behandelt? Wenigstens philosophisch?
Das zweite bezweifle ich nicht. Wittgenstein sucht die Wahrheit, will verstehen. Nur wo windet sich sein Weg?

Daß, wie und warum und inwiefern wir einander verstehen, geht doch wohl auf die Spekulation zurück, daß das Gegenüber nicht ein Schatten in meiner Vorstellung ist, sondern ich-noch-einmal in anderer Gestalt wie der deutsche Buddhist Schopenhauer das Vertrauen in der Schwarmintelligenz benennt. 
Das Vertrauen in das Verstehen des anderen hat eine Gewißheit, die fast an die - "tiefer" in der Natur verankerte- heranreicht, nach der rechts nicht links ist. 

Was ist beweisen? Das Zurückführen eines Ungewissen auf ein gewisseres (AS).

Die Bohrungen, in Kreisen reisenden Fragen Wittgensteins führen schließlich auf die nicht weiter beweisbar Antwort, nach der wir alle ein gleiches bis sehr ähnliches Verstehen der Welt haben und dies im anderen Menschen voraussetzen.