Montag, 29. August 2022

Joan Didion FAZ 8 22

Joan Didion, die letzte Erwachsene unserer Zeit Von Tobias Rüther FAZ
28.08.2022, 09:36

Eine professionelle Reklame bei etwas besser gestellten FAZ- Leser*innen. Was nicht stimmt: dass sie "keine von uns" ist. Sie braucht Krabben-Fleisch, lässt sich von Polanski Rotwein über das Kleid schütten, kennt die und jenen, in deren Nähe ein FAZ-Schreiber vielleicht nie gelangt. Sie gehört also zu den "oberen10.000". 

Aber sie gibt nirgends das Gefühl, "etwas Besseres" zu sein. So las wenigstens ich ihre Trauer. Die Sehnsucht nach dergleichen mag in neuerer Zeit diese Zeitung durchziehen. Nicht das, was ich gesehen habe. 

Reich ist vielleicht anders (nichts genaues weiß man nicht) nicht fremd!-

Da waren Sehnsucht und Wehmut des Lebens und der Liebe. Und das bewegt doch wohl die allermeisten, die aus den Äußerungen dieser Welt lesen, wenn sie nicht gerade ein Feuilleton auflegen müssen.

Mit dem Recht der Zeit ist nun die Zeit des Gehörs für meine Generation abgelaufen. Aber wenn so ein junger Dutterer, der zu seinem Anspruch auf den Trog doch den Stand im Leben vermissen lässt, frei über sein Verständnis von Verehrung schwadroniert, sollte er doch darauf achten, was die Vergangenheit zurückwirft. Er hat mit seiner Animosität gegen die Gleichwertigkeit von Lesenden doch auch den Wert der Literatin und der Literatur beschädigt. Fast...

Vielleicht ist ihm das Erreichen eines einsichtigeren, aufmerksameren und untergehenden Alters vergönnt. Ich bin sicher: er wird dann nicht (mehr?) stolz auf eine solche abwertende Verehrung sein, die ich bei Didion selbst an keiner Stelle gefunden habe.

Es war anders, als er sich damals, kaum geboren, vorstellen könnte und nun spekuliert. There was a new generation with a new explanation. For a moment. Die Didion mag da in vor68er Allüre geschrieben haben. Nicht gegen die Menschen, die in der new explanation erwachten. Denn dann hätte sie besser den höheren Klatsch geführt als einfach nur gute Literatur...
Vor allem ist aber die Berechtigung dessen zu literarischer Animosität gegenüber den Lesenden anzuzweifeln, der eben das Verfahren Klatsch statt Literatur gewählt hat.

Projekt: Aus den Tonnen der 68er Makulatur die Schätze heraussuchen. Ich vermute, daß, was bekannt wurde, nur ein Teil dessen war, was wirklich des Aufhebens wert war. Denn auch damals steuerten solche wie dieser hier das, was in die Archive durfte.
Armes historisches Feuilleton! 
31.8.22

Dazu schrieb ich vor 4 Jahren (2018)

 

*

Betrifft schreiben im Alter. Scheint mir eingängig. Erfahrungen, die mir Phil. Roth u a erklären.

Seid n i c h t gnädig mit uns.

Lest uns -viel- später und versteht unser immer längeres Schweigen...

*

Didion hat das Problem, sich für ihre bevorzugten Lebensumstände entschuldigen zu müssen, ich muß darauf achten, die Hetze unserer weniger bevorzugten Mittelstandsexistenz nicht aufzubauschen.

Der Punkt ist doch -Verlust. Die Werte verlieren sich. Verlust ist immer = 1... 

*

Einmal war ich wichtig für bestimmte Personen. Jetzt noch für die eine oder andere Erinnerung. Weniger wohl, als ich glaube.

Tausend Blätter werden von der Sonne beleuchtet.Ich würdige nur wenige, plötzlich öffnet sich der Blick auf den Horizont. Es gibt tausend Horizonte.

Beim Blick in die Longlist kommt mich, gewiss ist es unfair, ein Gähnen an. Na ja, Confabulieren über das Leben gibt ihm einige bunte Lichter.

Ich stoße auf Blaue Stunden der Didion. Einer von tausend Horizonten. Ein Blick öffnet sich. Es gibt Berührung des Wortes.

Schön, das erleben zu dürfen.

Ach ja, auch ich war einmal wichtig. Ich kehre zurück zu mir. Lerne wieder die Sehnsucht zum Horizont.

*

für bestimmte Personen. Jetzt noch für die eine oder andere Erinnerung. Weniger wohl, als ich glaube.

Tausend Blätter werden von der Sonne beleuchtet.Ich würdige nur wenige, plötzlich öffnet sich der Blick auf den Horizont. Es gibt tausend Horizonte.

Beim Blick in die Longlist kommt mich, gewiss ist es unfair, ein Gähnen an. Na ja, Confabulieren über das Leben gibt ihm einige bunte Lichter.

Ich stoße auf Blaue Stunden der Didion. Einer von tausend Horizonten. Ein Blick öffnet sich. Es gibt Berührung des Wortes.

Schön, das erleben zu dürfen.

Ach ja, auch ich war einmal wichtig. Ich kehre zurück zu mir. Lerne wieder die Sehnsucht zum Horizont… (aus die Eicheln fallen 2018)

*

Januar 2022:

..."Eine neue Generation erleuchteter Adepten? Der Ausblick in meine kürzere Zukunft macht sich fröhlicher.


Eine Johanna Adorján dagegen, nicht ganz so jung zeigt sich in Beschreibungen der Joan Didion, damals war sie 40, Didion 77, jetzt mit 87 gestorben, und des bekannten überlegenen Hirns vor allem als Expertin für Gestik und Körpersprache. Die Zurückhaltung der Schriftstellerin gegenüber der etwas mehr fuchtelnden -jungen- Interviewerin empfindet sie als arrogant. Kann sie die Tränen nicht sehen? Zum Hirn fällt ihr eher der gekrümmte Rücken auf. Look on Mohammed Ali. Zur Literatur das, was auch ich in der sehe: nichts der Erwähnung wertes. 

Nichts dagegen. Der Kampf um den Trog ist eröffnet. Die Jungen und die Mittelalten. Die Alten sind weit ab, Preise abgeräumt. 

Warum sollen die neuen Leute interessanter sein? Vor Hirn sich verneigen oder die Gestik zerschlagen. Es wird Zeit für Neues. Oder ist es auch hier schon zu spät? Vinyl oder CD? Was ist das? Seltsame Gesten. Ein Kind ist gestorben. Didion hat Tränen in den Augen. Richtig, das nicht sehen zu können. Aber warum dann darüber "berichten"?"
*
! 2020:

 

Volltext 1 2020

 

Seltsam wenig Mitgefühl. Nach dem alten König hätte ich mehr erwartet. Zu seinen sonstigen Buchbesprechungen kann ich wenig sagen. Bei Handke stimme ich zu. Mit Karl Kraus würde ich mich nicht anlegen.

 Zu Didion, was schreibt er da? Das tut weh! Ihr ist jemand gestorben, den sie liebte. Und noch jemand. Was soll in diesem Zustand die Erwähnung von Privileg?!

Ich habe die "blauen Stunden" gelesen. Da ist Trauer und Abgrund. Was hat das Wichtigtun der Sehnsucht an solchem Ort verloren? Das ist vorbei. Da ist ein anderer Raum als ein Erzählcafe oder ein Lappen von Roman.

In dieser Lage ist nichts von Suche nach Privileg! Da ist Verlust und Schmerz von anderem Schmerz. Im Verlust bist Du gleich wie nur noch im Gelächter aus den Türen der Versorgungsstation. Da gilt kein alter König, kein Literaturpreis.

Im betreuten Wohnen weint so manche/r um geschwundene Wichtigkeit. Im Verlust aber erheben sich wieder die tausend Stimmen der Menschen. Von der trockenen Sachlichkeit bis zum fetten Pathos. Das sind keine Looser-Geschichten. Da nimmt der Verlust sich seinen Abgrund. Und eigentlich muss die literarische Kritik vor dem Totengesang - schweigen.

Die blauen Stunden der Didion. Für Mutige zu empfehlen. Wer will schon in einen Abgrund folgen? Das Pfeifen in der Angst ist aber nicht das geeignete Mittel, von solcher Begegnung zu berichten.

Im übrigen lese und schreibe ich -wie viele- nicht, um nicht zu erschrecken, sondern weil ein Wort vorbeifliegt.

*



 


Another one bites the dust


Another one bites the dust

Viele raten, aber sie befinden sich nicht im Kampf.

Meine Erfahrungen mit Kämpfen kommen aus meiner Kindheit, Deine aus einer anderen.

Ist Putin ein jähzorniger Totschläger oder ein kaltblütiger Mörder? Gefühlig oder berechnend? (Vor dem Krieg war auch noch denkbar, dass es sich um einen klugen oder von berechtigt-unberechtigter Angst geleiteten Machtpolitiker handelt.)

Nachdem er die Welt getäuscht hat, bleibt keine andere Alternative als Totschläger -Mörder, es sei denn, es sei ein Fall der Psychiatrie.

Je nach Erfahrung wird eher Vorsicht angezeigt erscheinen, weil man einen Totschläger nicht noch zu Schlimmerem reizen möchte, oder Entschlossenheit, um dem Mörder sein Risiko deutlich zu machen. Die EU neigt mehr der ersten, die Nato mehr der zweiten Handlungsalternative zu, wobei Ungarn und die Türkei sich nicht davon abhalten lassen da noch ein eigenes Süppchen zu kochen.

Ich persönlich halte es in dieser Frage mit der Nato, während ich vor kurzem noch davon ausging, bei einem Verrückten sei ohnehin jedes Handeln sowohl klug als auch unklug, weil ohne Gewissheit über die Folgen aus Motiven.

Wenn wir uns jetzt also darüber streiten, welches Tun richtig, zu riskant oder zu ängstlich ist, lasst uns das Handeln nicht vergessen. So oder so Handeln, während man angegriffen wird, hilft mehr als nicht Handeln. Dies ist meine Erfahrung aus 18 Jahren Kindheit und Über 50 Jahren Erwachsensein.

Ob ich darin richtig liege, kann im Augenblick niemand wissen: the other one bites the dust. 

27.6.22

Dienstag, 23. August 2022

Sarrazin und Tellkamp

Sarrazin und Tellkamp,

Zwei, die sich nicht hoch genug verehrt fühlen, finden zusammen. Alter und junger Pegide. Der Einwurf gegen Intelligenz und Empathie wird mit der Animosität des Ego-Stammtischs gegen Verantwortlichkeit vorgebracht: "Die Vernunft und ihre Feinde".

Das ursprüngliche und richtig philosophische Buch des Karl Popper heißt: "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde."
Nun, sie reden gerade über Feinde der Vernunft, unter welcher sie die Bauchvernunft des Ich-Ich begreifen.

Nach dieser Spekulation aus der Reklame auf die Wirklichkeit der Literaturwurst lese ich den Artikel im Fokus. Dort spekuliert man eher auf eine ost-westliche Wachablösung von Rechts nach Rechts.

Muss man das lesen?

So wenig wie meine 68er Größen, die sich dann doch auch oft als Verräter an der Verantwortung zeigten.

Ich wills für den Moment dabei belassen.

Aus meiner politischen Erfahrung heraus möchte ich doch annehmen,  dass auch diese "Welle" des Egoismus bei weitem nicht so gefährlich ist, wie man vermutet. Das konkrete Sein bestimmt das Sein der Bürger doch in der Regel mehr als die Spekulation der Populisten auf die Verblödung durch Kitzeln am Bauch der Vernunft. Das nennt sich gesunder Menschenverstand.

Diese hier sind zum Surfen auf der Wutwelle zu ungeschickt. Ahnen nichts von Ebbe und Flut. Flopulismus.

Dienstag, 9. August 2022

Carlo Schmid - Todesengel, Musensohn und Humanist

Henry Nannen und Carlo Schmid:
Was ist peinlicher, wer war schlimmer? 
Ich habe an viele Adressen wegen dem Humanisten und Todesengel von Lille geschrieben. Das Schweigen war bezeichnend und enttäuschend. 

Ein Überblick über historische Berichte zeigt vornehme Zurückhaltung zur Mitwirkung am Tod von Franzosen.

Zum Beispiel berichtet das Lebendige Museum online: "mehrfach konnte er erreichen, daß nicht auch noch unschuldig Festge-nommene erschossen wurden, sondern nur aktive Saboteure und Widerstandskämpfer, die auf jeden Fall mit einem Todesurteil rechnen mußten."

Immerhin, das humanistische Verständnis findet das fachmännische Aussortieren von Guten und Schlechten im Büro des Nazismus doch mindestens für einen entschuldbaren und irgendwie beachtlichen Akt von Angst und Erbarmen.

Mut der Menschlichkeit erkennt deutlicher das Werk 100 Köpfe der Demokratie : "1940 wurde S. als Kriegsverwaltungsrat zur Oberfeldkommandantur 670 nach Lille einberufen, wo er die Härten des dt. Besatzungsregimes zu mildern versuchte und Risiken einging, um das Leben in Geiselhaft genommener Franzosen zu retten." So tauschte er Leben gegen Leben.

Und was meint das "Blättchen in Tradition der Weltbühne Nr 2
16.1.2017" so recht kritisch von halblinks?

Das Platzieren von Namen sei doch irgendwie, irgendwie anders als eine Erschießung zu betrachten:

"Schmid manipulierte die Listen, indem er nur die Namen von Gefangenen notierte, die bereits zum Tode verurteilt waren und deren Exekution unmittelbar bevorstand. "

Er bekräftigte also nur den Mordbefehl, der auch ohne ihn wirksam war, ersparte sich einen eigenen?

Wie war es in folgenden Fällen?: ...zwischenzeitlich wurde "nicht mehr erschossen, sondern in die Konzentrationslager nach Deutschland deportiert."

Gab es da keine Erfordernis mehr zur Unterschrift?

Danach, 1943, gab es jedenfalls wieder neue Not:" Und wieder war es an Carlo Schmid, die Liste der zu Ermordenden zu manipulieren, indem er versuchte, vor allem die Namen derer dort zu platzieren, die bereits vorher wegen anderer Vergehen zum Tode verurteilt worden waren. " 

Vor allem...

Man platzierte die Namen ...

Ein wahrer Humanist? Petra Weber, die 1996 die Biographie verfasst, entdeckt auch den Sohn der Musen im Todesengel

Was liegt schief? Die Musensöhne, die sich von den Stahlgewittern an bis in die Erdbeeren bei Srebrenica um ihre moralische Antwort schleichen. Ein Humanismus, der ganz gegen seinen Willen vom 3. Reich profitiert und hilfreich schlechte Gewissen durch die Zeit trägt. Das Wegschauen der Braven, das Totschweigen der Toten. Der Gute mit Blut am Stift? Es lebt sich weiter in die Ehre. Und Schulen und Plätze werden nach einem benannt, der im Auftrag eines Mordregimes Menschen dem Tode zuführte.

In Bausch und Bogen entschuldigt, ohne je einem Wort der Anklage ausgesetzt gewesen zu sein. Wie viele zur SS verpflichteten Leute bewarben sich rasch noch zu einem Fronteinsatz, um nicht schuldig zu werden! Er blieb in Amt und Herrschaft, rückte nicht vom Schreibtisch. 

Im Lobesschwang der Frau Weber von rd. 800 Seiten betreffen 40 (5%) die Zeit in Lille, worin 20 den Musensohn zur Künstler- und natürlich Philosophennatur (Existenzialist) erheben. 
1941? - "Verwehte Düfte blähten meine Brust
Wie Heimkehrwind das Segel der Galeere.
Nun weiß ich Dinge, die ich nie gewusst
Und ohne die mein Leben Reue wäre"

"Carlo Schmid war (eben) ein Traumkind, das einen wachen Sinn für die Realität hatte" S 165
(Als Kriegsverwaltungsrat in Lille (1940-45) -Kapitel Der Künstler und Existentialist...)
Doch auch nach dem Krieg: "
schau:" Der Musensohn, der erst seit kurzem die politische Bühne betreten hatte, hatte einen erstaunlich wachen Sinn für die Realitäten der Politik.
Aus: euphorischer Neubeginn im Südwesten (1945-1947)/ Kritik muss erlaubt sein. Weber S 252 ff

Als es dann andersherum ging;

"Später versuchte er es mit einer Taktik der Geschmeidigkeit
Als deutscher Verantwortungsträger fühlte er sich "wie Schulbuben" von den Franzosen behandelt."

Carlo Schmid ging es nicht um einen Affront gegen die Franzosen, aber nach anderthalb Jahren der Besatzungsherrschaft wurde das autoritäre Besatzungsregime -nicht mit Lille zu verwechseln- zu einem gefährlichen Hemmschuh für eine demokratische Entwicklung in Deutschland...

Was wohl die Angehörigen der Toten dachten, während die Geretteten in wütender Dankbarkeit schwiegen? 

Einiges aus Lille:

Der sinnerfüllte Existenzialist

"Schmids Leben war trotz allem und vielleicht gerade deshalb sinnerfüllt. Er lebte damals sehr existentiell. Und es gab auch viel Leerlauf, viel Freizeit, in der er in eine andere Welt fliehen konnte, in die Welt der Musen. Die Zeit in Lille war nicht nur die Geburtsstunde des Politikers Schmid, es war auch die Zeit und der Ort, wo er seine künstlerische Begabung entfalten konnte." S 149

Verantwortung übernehmen

Schmid zog immer mehr Aufgaben an sich heran. Nur so konnte er zumindest in Teilbereichen die Schwere des Besatzungsregimes abmildern.
Die Aufsicht über die französische Justiz and die Gefängnisse, über die
er sich Anfang September genaue Unterlagen erbat, beanspruchte ihn
zunächst weniger als der Kampf gegen Plünderungen..." S 129
Gutes Tun erfordert nun einmal Herrschaft.

Tanz des Todesengels

"Oft war er gezwungen, seine Freizeit mit Niehoff zu verbringen. Wollte er überhaupt etwas errelchen, so durfte er den Umgang mit ihm nicht meiden, so durfte er sich nicht von den abendlichen Geselligkeiten ausschließen. Hätte er seine Abscheu allzu offen gezeigt, hätte er sich überhaupt kein Gehör mehr verschaffen können.
So war er zu einer Art Doppelleben gezwungen."

Grausamkeit bei besonderer Sensibilität

"In der Zeit vom 31. März bis 30. April 1942 wurden in Lille fünfzig
Geiseln exekutiert. In der Nacht vom 25. auf 26. März waren in der
Region d’Artois-Douai-Lens Sabotageakte an Eisenbahnlinien verübt worden, durch die ein deutscher Soldat das Leben verlor. Einen Tag später ordnete Falkenhausen die Exekution von fünf Geiseln an, falls die Attentäter nicht innerhalb von drei Tagen gefunden sein sollten; 15 weitere sollten erschossen werden, wenn innerhalb von zehn weiteren Tagen Noch keine Hinweise auf die Attentäter vorhanden seien. Am 14. April wurden neben den fünfzehn angedrohten Geiseln noch zwanzig weitere erschossen, die man nach der Ermordung eines deutschen Wachpostens am 11. April festgenommen hatte. Am 30. April wurden zehn Menschen als Sühne für die Ermordung eines deutschen Soldaten hingerichtet.

Auf Schmids Schreibtisch lagen die Geiselerschießungsbefehle. Er hatte die Geisellisten zusammenzustellen. Eine grausame Aufgabe für einen
Mann seiner Sensibilität und Humanität. Er wurde von Schuldgefühlen fast aufgefressen...

Es gab da Pflichten...
Was hätte man machen sollen?!
Umgang verpflichtet...

Carlo Schmid konnte so in vielen Fällen die grausame Praxis der Geiselexekution unterlaufen. Nach dem Krieg warf ihm der französische Sozialist Guy Mollet vor, er habe Resistance-Angehörige der deutschen Justiz ausgeliefert.” Im Straßburger Europarat wollte man sich deswegen nicht mit ihm an einen Tisch setzen. Daß er nur auf diese Weise das Leben Unschuldiger hatte retten können, wollten seine Ankläger nicht wahrhaben. Schmid selber quälten Gewissensbisse. Die Abschiedsbriefe der erschossenen Geiseln lagen auf seinem Schreibtisch. Viele der zum Tode Verurteilten waren Angehörige der Resistance. die für das Verteilen von Flugblättern oder die Gewährung von Unterschlupf für englische Soldaten mit dem Tode bestraft worden waren. Doch was hätte er machen sollen? Seinen Dienst quittieren? Er glaubte nicht, daß man durch Distanz sich weniger schuldig mache: "Tun und Nichttun wirken beide gleichermaßen Schicksal, und wer denkt, durch Abseitstreten sich aus der Verstrickung lösen zu können, der irrt sich in fürchterlicher Weise." Die Teufelsausrede" 'wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer schlimmer' enthielt mehr als ein Gran Warheit. Er mußte weiter versuchen, die Abscheulichkeiten des Regimes zu mildern. Die Anspannung war manche Wochen fast unerträglich. Ein "wenig Nachlässigkeit", ein wenig Bequemlichkeit und Müdigkeit mehr" konnte Menschen Freiheit und Leben kosten“. Und dieser Kampf um Menschenleben beschränke sich nicht auf die Dienstzeit. Er mußte weiterhin geselligen Umgang mi den Nationalsozialisten pflegen. Beim abendlichen Skatspiel konnte man manchen Verurteilten freibekommen. Carlo Schmid kam seine Trinkfestigkeit bei diesen abendlichen Geselligkeiten sehr zugute.

Häufchentausch zur Selektion

Die Anspannung bel dieser Manipulation der Geisellisten war: „Das bedeutet, daß ich eine Anzahl Karteiblätter, die vor mir liegen auf verschiedene Häufchen verteile, sie dann hin und her vertausche, sie nach einigen Telefongesprächen neu gruppiere, und was dann endgültig rechts liegen bleiben wird, die paar armseligen Namen, wird überantwortet werden. Es ist furchtbar dies mit kaltem Blute tun zu müssen, aber wehe dem, der dabei seine Hand von Bewegungen leiten ließe, deren Herr er nicht ist.“

So setzte der humanistisch ausgerichtete Musensohn und Selektionsbeauftragte mit furchbarem Gewissen und kalter Hand den Haken. Was die verantwortungsvolle Nachkommenschaft der Republik mit einem etwas abwesenden Blick auf die Uhr im Foyer der Carlo Schmid Schule abschnarcht...

Erhabenen Humanismus 
und andere Nachbemerkungen

"Ein entschlossener Gegner der 
Todesstrafe... fordert ihr Verbot im Grundgesetz: »... Die Würde des Menschen wird beim Vollzug der Todesstrafe nicht so sehr im Delinquenten gekränkt, als in denen, die mit der Vollziehung zu tun haben.« 1948 Der Stern Nannens geht zur gleichen Zeit auf. 


Gründungsherausgeber der im zweimonatlichen Rhythmus erscheinenden Neuen Gesellschaft waren der Staatsanwalt Fritz Bauer, der später die ab 1963 stattfindenden Auschwitzprozesse organisierte, der spätere Initiator des Godesberger Programms Willi Eichler, der zu den „Vätern des Grundgesetzes“ zählende Staatsrechtler Carlo Schmid sowie der Soziologe Otto Stammer.

Der 7 Jahre jüngere Bauer, ebenfalls Jurastudent im braunen Nest Tübingen hat wohl die Liste des NS-Richterbundes nicht gekannt. Was der Todesengel von Lille wohl getan hätte, wäre ihm ein Deportationswunsch vorgetragen worden?

Als er sich die Nazirichter vornehmen will stirbt Bauer unter ungeklärten Umständen mit 65 Jahren 1968.

1979, mit 83, geht Carlo Schmid in den verdienten ewigen Ruhestand ein.

Ehrungen (Wiki)

Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland 

Orden wider den tierischen Ernst geehrt. 

Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg 

Deutsch-Französischer Übersetzerpreis für seine Übersetzung von André Malraux’ Werk 

Hansische Goethe-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung. 

Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main. 

Ehrenbürger von Mannheim und Tübingen.