Freitag, 31. August 2018

Wie Verlage sich verhalten


TENDENZ je größer, desto weniger Frauen

Beteiligung der Verlage - longlist Buchpreis

Zum Buchpreis, Altersverteilung

Der Umsprung auf 12 weibliche zu 8 männlichen Kandidaten auf der Longlist 2018 hängt doch wohl nicht mit einem Erfolg von me too zusammen. Sind überhaupt männliche Entscheider etwa auf dem Weg von me too oder 68er Pensionierungen durch Nachrückerinnen ersetzt worden?

Betrachten wir einmal die Vorschläge der ältesten und jüngsten Autoren auf der longlist.

Da ist der Verlag C H Beck mit den ältesten männlichen Vorschlägen.  2012 mit Ernst Augustins Robinsons blauem Haus. Bei dem damals 85jährigen wie stets bei Senioren die Frage: Gnadenbrot oder Würdigung? Zur Shortlist schafft es das Werk, der Mann?

Mir unbekannt, hat der Arzt und Psychiater an entlegenen Orten gelebt und nun einige Preise abgeschöpft, sowie Einzug in die Akademie der Dichtung, was immer das sei, geschafft. Also wohl eher Würdigung als Gnade.

Adolf Muschg ist in diesem Jahr (2018) mit 84 vorgeschlagen worden. Mit der "Heimkehr nach Fukushima" läßt sich anhand der literarischen Erfolge auch ein Platz auf der Shortlist kaum umgehe. Gegen den ersten Preis spricht aber wohl die Geschlechtsgerechtigkeit.

Als älteste Frau wird Friederike Mayröcker, die Dichterin, deren Bücher naturgemäß keine Massenreißer sein können, 2005 mit einem Vorschlag und einer Weiterreichung zur shortlist geehrt. Das Buch heißt: "Und ich schüttelte einen Liebling". Sie ist 81. Suhrkamp blendet mit einem großen Namen das Thema Männerprivileg aus.

Die nächste ältere Dame ist erst 2017 dran: Monika Helfer vom Verlag Jung und Jung ist 70. Sieh mich an, wenn ich mit Dir rede! Die zweitälteste Frau auf der Longlist ist 14 Jahre jünger als der zweitälteste Mann...

Was ist mit dem jungen Drängen?

Unter 26 geht nichts, da gibt es ja die Narzißten-Förderung unter dem Stichwort "Jugendförderung", unter dem sich manche Qualität vermeiden läßt. Aber gleich vier 26jährige Damen finden sich im Longlist-Sortiment des Buchpreises:
2007 Lena Gorelik bei Schirmer-Graf,
2015 Valerie Fritsch bei Suhrkamp,
2016 Michelle Steinbeck bei Lenos und
2018 Helene Hegemann, bei Klingt-nach-68-Hanser.

Jüngster Mann war Clemens J. Setz bei Residenz 2009 mit 27.

Wer sind sie?

Zu diesem Alter möchte ich mich nicht äußern, bin mir selbst (vor 40 Jahren) gegenüber unfair. Könnte nur Ausgebittertes, lächerlich sarazinös-houellebecqschen Seniorenkeif verbreiten.

Vorläufiges Resüme: Der Sturm der jungen, vor allem Damen, an den Trog des Ruhms ist ein zu junges, abseitiges Phänomen, um auf lange Dauer schließen zu können. Es ist aber doch schon an der Zeit, die Alten in die Pension zu bitten!

31.8.2018 Klaus Wachowski

Montag, 27. August 2018

Buchpreis 2018, Revolte

Ansturm der jungen Frauen. erstmals mit 12 zu 8 Männern um 4 mehr auf der Longlist. Ist das ein Ausgleich zu früher? Da waren die Herren weit in der Überzahl, so daß die Jury auf 50/50 wenigstens bei den Preisträgern berichtigen mußte. Ich schätze für 2018 eine Frau unter 50.

Jüngster Mann: 41, ältester: 84.

Durchschnitt Männer knapp vor der Pension  (58)

Jüngste Frau: 30, älteste: 65

Durchschnitt Frauen: 48

Sonntag, 12. August 2018

Sarah Bakewell - das Café der Existenzialisten (2016)

Sie wird jetzt auch alt und hat Ruhm und Wirkung verdient, den dieses Buch ihr hoffentlich beschert. Freiheit tut wieder einmal not.

Ich habe das Buch voll Spannung und mit Freude gelesen, obwohl ich als eher 68er den ganzen Existentialismus als kleinbürgerliche Zerstreuung abgehobener Geister betrachtete und daher nichts davon las.

Ihr erzählerischer Stil beseitigt die Aversion, die sich gegen trockene begriffliche Her- und Ableitungen eines chaotisch verschlungenen Denkens erhebt und war deshalb -entgegen der Meinung aus dem akademischen Sitzfleisch- genau das richtige, das Interesse an einer Philosophie des Eigensinns zu wecken.

Ich verdanke dem Buch

- ein Interesse am Gedankenleben der Existentialisten ab Sartre, Beauvoir, Camus und Ponty,

- ein Gefühl der Achtung gegenüber diesem philosophischen Versuch und damit verbunden

-ein Gefühl gestiegener Achtung gegenüber den vorgestellten Personen ( Heidegger ausgenommen).

Wer Lust am Denken und vor allem Selbstdenken hat, kaufe dieses Buch.

*

Als einer der ein paar Jahre Lesen und Denken mehr auf dem Buckel hat, bleibt naturgemäß auch etwas Kritik, wie folgt. Das soll aber nichts von meiner dringenden Empfehlung nehmen!

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Kritik

Leider fällt die Psyche lieber auf bunte Worte herein als den schwarz - weiß - Zeichnungen der Philosophie nachzudenken. Ein barocker Hamann findet immer seine begeisterten Leser, ein trockener Kant wird stets mit wenigen Verstehen wollenden vorlieb nehmen müssen. Auch mich begeisterte ein Bloch mehr als ein Schopenhauer, der mich dann allerdings gegen Nietzsche immunisierte (Inzwischen ziehe ich -selbst zum Vergügen- einen Blues einer Pink-floyd- Symphonie vor.). Nur sehr wenige halten die Trennung zwischen poetischem Pathos und vernünftiger Kommunikation durch. Karl Kraus war einer der seltenen. Die meisten "großen Geister" vermischen irgendwann doch Erkennen und Wollen und geben den schlimmsten ideologischen Rattenfängern eine Wortflöte an die Hand, um Menschen in Material zu verwandeln.

Nach der Auflösung der Erkenntnisphilosophie durch Kant und seinen Übersetzer ins Verständliche Schopenhauer ist es sehr schwer, eigene Gedanken in die Öffentlichkeit zu tragen: man fürchtet doch sehr sich lächerlich zu machen.

Die Existenzialisten wagten das "denke selbst" und "lebe selbst" wieder. - Die bereits vorher versuchte Umstürzung der Philosophie durch Marx war eher der Versuch gewesen, sie unter statistischem Material zu begraben.

Heidegger als Begriffe ballender Schwazwaldsepp konnte im chaotischen Nachkriegsdeutschland des 1. Weltkriegs als Guru offensichtlich eine Menge romantisch schwingender Seelen ertönen lassen. Hier fand die Abkehr von der Philosophie statt, die Schopenhauer an die Wand gemalt hatte. Wagnerianische Verklebungen.

Sartre und der Pariser Tisch improvisierender Sucher fielen nicht darauf herein und trugen die Forderung nach eigenem Leben, Handeln und Denken wieder unter die Menschen.

Bakewell nun sucht ohne Zweifel einen romantischen Führer in die "Lichtung", welcher Begriff Kenner der philosophischen Geschichte an das Wort Schopenhauers zur "Erleuchtung" erinnern wird, nachdem es mit Erleuchtung ist wie mit allen Lichtern: einige Dunkelheit ist die Bedingung...

Romantisches Philosophiebegreifen: Wer ist nicht auf Nietzsche hereingefallen, der die Wortgewalt Schopenhauers mit eigener bunter Dichtung glücklich zu übertönen suchte? Die Hymne des Ego schreit seither das Fragen nach Erkenntnis recht poetisch nieder.

Verehrung, die das Denken stolpern läßt. (Arendt entschuldigt die Liebe, die ihr gleichfalls das Philosophieren verunmöglichte. Solche Klarheit im Politisch-Historidchen, soviel Verknotungen in der Philosophie.)

"Dann blickten die hohen Tannen voll erhabener Würde auf die Menschen hin" ( Seite 73 der Ausgabe bei der Büchergilde). Wie sich das Erhabene über die Menschenwürde erhebt!-

Heidecker im Krieg als Briefzensor (Seite 72). Hätte nicht bereits dieser Umstand einer Kontrollfunktion über die Gedanken anderer, genauso übrigens wie die Bewerbung des Arno Schmidt zur SS, sein philosophisches Treiben stärkstem Verdacht von Seiten der Vernunft aussetzen müssen?

Seite 360: "Ich war beeindruckt von seiner Betrachtung von Landschaften und Gebäuden und von dem Gedanken des Menschen als Lichtung, auf die das Sein hinaustritt. Heute spüre ich noch dieselbe magische Anziehungskraft."

Gedacht? Aber auch  s e l b s t gedacht?! In diesem Punkt nicht besonders existentialistisch.

Das Dilemma von Philosophie und Herrschaft beginnt schon bei Plato. Erkenntnis als Mittel der Herrschaft. Gott stürzen, aber Nietzsche hinterherkriechen. Ja man nimmt sogar mit Loden wie Heidegger vorlieb. Wenns  nur ein Führer ist! Kein Guru lächerlich genug.

Ich glaube nicht mehr an die intellektuelle Qualität meines Zeitalters. Bakewell ist bezüglich Heidegger eine weitere Bestätigung. Einen besonderen Vorwurf kann ich ihr nicht machen. Auch ich verehrte ohne nachzudenken. Z.b. Marx über die Maßen, ja ich glaubte Mao und Pol Pot.... Auch ich war eben Intellektueller dieser Zeit.

Man lese dieses Buch und beginne wieder selbst zu denken!

Klaus Wachowski 12.8.2018






Mittwoch, 8. August 2018

Der Edelpegide

Der Edelpegide -
zu einer Besprechung in volltext

Dem Klassenprimus aus Nauen
Gab ich noch nie mein Vertrauen.
Als er dann glühte,
Alter Pegide,
Wurde auch mir er zum Grauen.

Dr. Smirc meint, das Schlimmste sei doch die Verleihung des Jean-Paul-Preises gewesen.

Dr. Warnix, Psychagog und breit aufgestellter Literaturverkoster, weist auf die engen Verknüpfungen von Jean-Paul- und Wagnergesellschaft hin. Was könne man da schon erwarten!

Ach was! - Smirc fährt fort: der Menschenfreund Jean Paul habe vor allem Liebe, der Uckermarker nostalgische, stark nach Ego riechende Plaste und Elaste geschrieben. Man müsse nicht viel unternehmen. Die Weichmacher seien schon raus.

Dr. Warnix, Psychagog und austherapierter Bocksgesang: Nu ja! Kennen wir doch, Menschenhaß: es wird immer Leute geben, die sowas gerne lesen: unzufriedene Buchhalter mit Drang nach oben,  unzufriedene Geförderte mit Drang nach weiter oben, die Sehnsucht nach der Zeit, in der das Kind über die Eltern herrschte; überhaupt missachtetes Begehren nach Herrschaft oder wenigstens Knechtschaft. Also Lodenmantel, Krachledernes, Vipologisches.

Vom Trog Verdrängte, die Menschen nur in Form von ehrfürchtigem Publikum ertragen und die der Gesellschaft verübeln, daß sie ihnen kein Elfenbeinschloß mit Lautsprechern finanziert.

Zuviel Ruhm geschlabbert, im Suff sich rechts verplappert.

Wie manisch schwoll da Bocksgesang,
Heimatdichters höhrer Drang
Jodeln aus der Uckermark
macht den Klassenprimus stark.
Schon fühlte man sich als Nietzsche,
Übermensch und rein.

Dann jedoch vom Trog gestoßen,
Mußt sich die Seele recht erbosen.
Die Welt ist schlecht, der Mensch erst recht,
Herrscher sein will braver Knecht.
Nachruhm begehrt man fort und führ,
Sülzt vom braven Wir.

Dr. Smirc: Herr Dokter, da bekommst Du von mir ein großes Na-Ja. Ich weiß worauf Du anspielst. Versäumte Ablösung vom Wir. Der Misanthropus eklektus, der Mensch und Welt beschimpft, Nietzsche vom Bierbauch, das Ich als Pegide. Von links braucht es zum frohen Haß verelendeter Freunde und Genossen, rechts ruft der Schadenfroh nach dem Echo aus dem Mallorca-Eimer.

Dr. Warnix, Psychagog und existenzialistische Schnöselkrawatte, meint, man müsse doch auch einmal die Vorliebe für die Romantik unter die Lupe nehmen: schließlich sei aus ihr das Scheusal des ideologischen Antisemitismus gekrochen. Aber das sei wohl eher eine Auseinandersetzung, die für uns alte Knacker gelaufen sei. Wir sänken samt uckermarkigen Sprüchen bald in den Sand, bevor der Wind der Ewigkeit sein tröstliches Werk vollende.

Dr. Smirc: Ja tatsächlich, wo bliebe die Jugend, die Pensionäre zu lang bezogenen Ruhms von den Trögen zu jagen, um selbst auch mal fett zu werden? Gäbe es denn auch in den Feuilletonen nicht ausreichend Sessel zu stürzen? Er verstehe die Zurückhaltung nicht. Wir hätten doch auch unsere Leute, eben jene, nach vorn geschoben. Und sie hätten uns doch ne lange Weile mit ihren schnurrenden Narzißmen unterhalten. 

Das sage nicht "einer, dem Autorität immer nur genutzt hat, dem Vorbild, Meisterschaft und Anführung selbstverständlich waren" (B.S. Herkunft), sondern einer, dem Kant und Schopenhauer mehr waren als Nietzsche, Jean Paul mehr als all die aristokratischen Romantiker, die seinen Freund und Förderer blutig schlugen, weil man das mit Juden tun durfte.

Einem nicht ganz so genauen
Mauler aus Nauen
sollst Du nicht ungeprüft trauen

Der Uckermark-Strauß steckt sein Köpfchen
Bevorzugt in braune Fettnäpfchen.

Wie lieblich verachtet er Menschen,
lädt süß zu Blutbuchentänzchen.

Entdeckt gar eigene Seele,
Wo Deutsches sich Deutschem anbefehle.

Aus dem Foto schaut mehr ein pensionierter Wortverkäufer, dessen holzverschalten Kaufladen keiner mehr betreten will. Man traut dem Obst nicht so recht. Und Bio ist es eh nicht.

Dr. Warnix, Psychagog und Ansichten lüpfender Ascendenter, meint, der verhalte sich doch zu Jean Paul wie ein Trockenstrauß zu einer Wiese von Frühlingsblumen. Wo jener von Liebe belebt schreiben mußte, spiele der da die Sonderposten des Bezüglichen rauf und runter. Seine Langeweile zeige sich doch im blassen Unverblümt seines Tanzkränzelanzugs. Die Haltung sei die des Strebers, der sich am Klassenmob rächen möchte. Aber da wäre doch die Autorität des Lehrers wohl vorteilhafter gewesen, wo Bravheit mehr versprach als Großmaulführerschaft bei den Frechen.

Gott klopft ans Türl. Er ruft die beiden Besserwisser zum Schnaps. Sei doch egal: Wagner, Brentano, Nietzsche, einer müsse die Ladenhüter halt hüten. Die eine oder andere Urmutter zur Anbetung würde sich schon finden. Das sei Weihwasser von anschwellendem Bocksgesang. Wo bliebe der Spaß der Erinnerung, wenn es keinen Eselskreisch mehr zu erinnern gäbe? 

Fröhlich geht es in die Nacht.  Allseitiges Hoffen auf weitere Tage begleitet uns.