Sonntag, 5. Februar 2017

Brüderlichkeit 2017

Fraternite'

Warum ist diese Forderung so schwer zu verstehen?

Was ist darunter zu verstehen? Mit dem Nachbarn, mit dem ich um die Politik streite, bin ich nicht verwandt. Ein brüderliches Gefühl erscheint mir zu eng.

Nach einigen Jahren politischen Denkens bin ich zur Auffassung gekommen, dass damit nicht eine Solidarität des gleichen Rangs gemeint ist, die ergibt sich nur im Zusammenwirken mit der Gleichheit, sondern die Forderung nach innerem Zusammenhalt, Zugewandtheit, Fürsorge, der im Gefühlsleben eine sympathische Neigung korrespondiert.

Das Problematische daran: anders als bei der Forderung nach Freiheit oder Gleichheit wird eine gewisse innere Einstellung, Moral, Liebe unterschwellig gefordert, die es ermöglicht, nach Gesinnung zu schnüffeln.

Aber es ist unstreitig: ohne Fraternite' zerfällt die Republik auf einem Kampfplatz der Privatinteressen. Verantwortlichkeit für den Anderen: "Du gehörst dazu!" sagt die Republik. Und die Volksprediger ergänzen im Wunsch, die Republik zu einer Anstalt zu machen, "Der gehört nicht dazu". Womit Sehnsucht und Dilemma der Brüderlichkeit umrissen sind.

Als Sozialdemokrat aus 68 verstand ich jahrzehntelang nicht, warum Brüderlichkeit und Gleichheit verschiedenes darstellen sollten. Ich wurde aus der Partei geworfen, weil ich nicht einsah, dass für ein Verkehrsprojekt arme Mieter ihre billigen Wohnungen verlieren sollten - und weil ich es öffentlich tat. Das konnte nur ein Irrtum sein!

Er war es nicht. Ganz ungeniert griff die Partei in den Trog der Betriebswirtschaft und wendete sich ab von den Armen, betreute nur noch die Erfolgreichen. Es steigerte sich bis zum Verrat der Sozialhilfe an Hartz IV.

Ich erfuhr: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." Das war kein Satz von einem brutalen Egoisten oder Mob vom Stammtisch, sondern von dem Fanatiker der Gleichheit Lenin!  Inzwischen denke ich, er könnte auch von Marx oder Luther stammen. Was damit ausgedrückt ist, ist das Gleiche wie in der verlogenen pädagogischen Haltung des Reichen gegenüber seinen armen Geschwistern: die Ablehnung der Verantwortlichkeit - und die Verachtung des Schwächeren als zwar gleich im Recht aber einer verachtenwerten Sorte zugehörig. Für die man zwar etwas tun muß, weil es das Projekt Republik fordert, aber doch mit einem jovialen oder verächtlicheln Lächeln um die Zigarre herum.

Das haben die Verachteten nicht vergessen: Hetze gegen Hilfeempfänger, Arbeitslose als Schmarotzer hinstellen, vor dem Sektempfang dem Arbeitslosen ein passendes Erscheinungsbild anzuempfehlen.

Wie behandeln gerade die fortgeschrittenen Länder die Verlierer des Wettlaufs?! Man bekommt die Unterstützung hingeworfen wie ein seltenes Exemplar Leben im Zoo und die Hand, die Dir gereicht wird, bedeutet Dir erst mal einen Schritt zurück zu treten. Wer soll da an die Ehrlichkeit der Sprüche von der Solidarität, Brüderlichkeit, Zugehörigkeit glauben? Wer glaubt einem Manager, der einen Betrieb flott machen will, das Wort an die Belegschaft?

Und die Republik ist keine Firma: Die Würde des Menschen drückt sich nicht nur im Respekt für seine Freiheit und Gleichwertigkeit aus. Ohne die verantwortliche Zuwendung, ohne ein Mindestmaß an Brüderlichkeit wird sie untergehen,

an Haßpredigern der Zugehörigkeit, die der Freiheit und der Gleichheit jedes Recht absprechen.

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