Dienstag, 1. Dezember 2015

Scham


Ich höre einen sehr eingängigen Vortrag eines Psychologen über das zu wenig beachtete Phänomen von Scham und Schamlosigkeit.

Dieses Phänomen der Bindung, der Abhängigkeit von der Akzeptanz eines Anderen, wirke doch stärker als das Selbstbewusstsein sich zugestehe.

Ich habe unter engen Schamvorstellungen von Eltern gelitten (Ein Junge weint nicht, Wir müssen die Schmach der Armut überwinden, sich über die dummen Bauern erheben,  aber nicht unangenehm auffallen, nicht auffällig werden.)
Die 68er haben sich unverschämt aus den Schamvorstellungen der Alten gelöst. Und neue Erwartungen in die Welt gesetzt (Männer sollten auch weinen,  nicht nach Besitz streben, immer locker bleiben, punken und rocken, provozieren, Ich produzieren, sich nicht schämen).

Stimmt! Auch das kann bei Mißachtung schmerzhafte Scham erzeugen.
Zur Zeit befinde ich mich in einer harten Auseinandersetzung um das Rechthaben. Durch diesen Vortrag fällt mir auf, dass sowohl bei meinem Gegenüber als auch bei mir Verletzungen der Scham besorgt werden, was die Härte in die Sache bringt.

Wie es wohl aussieht, wenn das Gegenüber Recht bekommt! Ich unterstelle meinem Gegenüber, er beziehe die Rechtfertigung seines Handelns aus den Erwartungen seiner Freunde. Meine Unfreundlichkeit besteht darin, er ziehe die Erwartungen seiner Freunde denen des Rechts (also dem "wertvolleren", wichtigeren Beobachter Bürger) vor. Er dürfte bei mir von Wichtigtuerei bis zu politischer Feindschaft (Orientierung an Erwartungen anderer, unzulässiger Interessen) ebenfalls ungute, beschämende Absichten vermuten.

Wichtig an der Scham erscheint mir daher weniger, ob ein Grund zur Scham besteht oder nicht, als: wer ist es, dem gegenüber ich mich schäme.

Ich war dabei, eine Betrachtung zu Freundschaft und /oder Grundsatz im politischen oder ethischen Handeln zu schreiben. Es hat eine Wendung genommen: Auch aus dem Grundsatz heraus betrachten Dich erwartungsvolle Augen. Zum Beispiel die von Menschen, Parteien, moralischen Instanzen, ideologischen Weltbildermalern, Bekennern von Gott oder Republik, Gott selbst oder einer entsprechenden virtuellen Instanz, Gründern der Republik selbst.
Auch Dich befällt der Virus Scham immer wieder. In manchen Verhältnissen hat er gute, warnende Wirkung (Vorsicht, halte Dich zurück, komme erst mal zu Kraft). In den meisten wohl musst Du nach Heilung suchen.

Ein bewährtes Mittel ist kritisches Rückfragen danach, von wem die Scham geschickt ist, ob ihr Zweck mit der Scham vor den Erwartungen einer höheren Wichtigkeit vereinbar ist, ob sie Dir gut tut. Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit nach Kant.

Eine Auflösung von schmerzhaften Erfahrungen der Scham geschah zu Anfang Deines Lebens, noch bevor Deine Eltern Dir ihr - hoffentlich erfreut- beobachtendes Auge zuwendeten:

das Leben selbst sagte zu Dir, komm! 

Und nichts und niemand hat das Recht dieses Wort durch Taten, Brüllen oder Heucheln zu zerstören. Berufe Dich darauf bei Dir, wo immer Dir ein anderes Ich etwas Kritisierendes entgegen hält. Im Anfang bleibt das Ja.

Das andere Erlebnis der Relativität der allmächtig scheinenden Scham zeigt sich außer am Anfang am Ende des Lebens: Wo ein Liebes nicht mehr ist, hat die Scham alle Macht verloren. Du darfst weinen und was immer andere
unpassendes, in ihrem Äußern verletzendes zu Dir oder über jenes Geliebte sagen und tun: Vor diesem Wort ist es -  nichts.

1.12.2015

P. S. Politische Scham erwartet der mündige Bürger bei enttäuschtem Vertrauen, nicht in Anschlag bringend, dass beim Profipolitiker über diesem das Vertrauen der Freunde oder der Stolz auf Einzigartigkeit aus den Phantasien von Kindheit, pubertärer Peer-group pp stehen kann. So gibt es dort keine Scham vor dem menschlichen Gewissen aus der angeborenen Barmherzigkeit gegenüber dem Leiden des Ich-noch-einmal, wo der Blick aus dem Auge des Leidens von Erwartungen aus den Wünschen der Dir wichtigeren Instanzen ausgelöscht wird.

Mißtraue dem einfachen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen