Donnerstag, 1. Januar 2015

Verkehrte Nachwelt


Ein Uwe Schütte in volltext 4 2014 über seinen Doktorvater W.G.Sebald

"...während zugleich einem rassisch Verfolgten des Faschismus die Fähigkeit abgesprochen wird, über den Holocaust auf angemessene Weise zu schreiben. Und mehr noch, in potenziell revisionistischer Manier, wird von Sebald das Augenmerk gerichtet auf die durch alliierte Bombardierung erzeugten Feuerstürme in den deutschen Städten. in denen die Zivilbevölkerung erst massenhaft aufgrund von Sauerstoffmangel erstickte und die Körper dann durch die ungeheure Hitze verkohlt bzw. eingeäschert wurden. (Dass es sich um ein — zumal ebenfalls industriell erzeugtes — Parallelphänomen zu den Vorgängen in den Konzentrationslagern handelt, braucht dabei ja nicht erst explizit ausgesprochen zu werden. )..."

Aus dem Film "Labyrinth des Schweigens" kommend bemerkt man das Üble an solchem Vergleich leichter:

Vom planvollen Vernichten zum durch dieses bedingten Wut- oder Hassausbruch erstreckt sich ein Abgrund des Unterschieds von Schuld der Unmenschlichkeit, den nur der Unberührte überschreiten kann. Wie kann ein nicht betroffener Deutscher auch nur auf die Idee kommen, ihm stehe irgendein moralisches Recht zu, hier die Kommandostimme zu erheben, um die Unterschiede von Motiv, Ziel und Schuld einzuebnen! Du hörst die Stimmen der Zeugen zum Auschwitz-Prozess - und fährst mit einem "Aber" dazwischen? Wer oder was gab Dir das Recht auf solche Freiheit von Achtung vor dem Recht?

Wenn das Mitgefühl sich zu einer Allgerechtigkeit aufschwingt, kommt es leicht zu einer den wirklichen Menschen missachtenden Beschimpfung jedes Unrechts ohne Unterschieds. Ein Ausdruck von Selbstüberhebung und Missachtung der Person im Leiden, das schon schwer bei bloßen Zuschauern auszuhalten ist. Widerwärtig aber wird es bei Klägern, für deren vorgebliches Wohl eben jene Unmenschlichkeit tätig war, der sie das von ihr herbeigerufene Unrecht entgegen halten.

Die Schuld von Literaten am Verschweigen des Holocaust,  am grinsenden und verschmitzten Begleiten und Begründen, ist so wenig aufbereitet wie die Verklärung des Hasses in der Literatur der Romantik. Noch heute wird das unsägliche romantische Erzeugnis "Die Judenbuche" als Lektüre zum Landesabitur Deutsch angepriesen. Wo ein sachlicher und mitfühlender Bericht über den Mord an einem Verkäufer, dessen Glauben zufälliger Weise als jüdisch bekannt war, im depressiven Showroom untergehenden Adels, genannt Romantik, umgeschrieben wurde in einen Krimi vor einer düsteren Szenerie unverständlicher Bräuche. Blaue Blume: vom blauen Blut zum gelben Stern.

Hannah Arendt hat den Zusammenhang beleuchtet. Wo ist die deutsche Literaturkritik nach 1945, die dem juristischen und ebenfalls davon gekommenen Schreibtischtäter seinen verzückten und verrückten Mephisto von der Feder zur Seite stellt und endlich auch klar zu Nietzsche und Wagner spricht! Es gibt sicherlich Ausnahmen wie die beiden Staatsanwälte im Labyrinth des Schweigens auch in der literarischen Sphäre. Im Keller der Verzückung hoher Geister, Willen und Wesenheiten ist es aber um einiges dunkler als in den Archiven der Justiz.

Die Manier des Literaten Sebald war nicht potentiell revisionistisch. Es war keine Manier und nicht bloss politisch inkorrekt. Es war eine mit besorgter Haltung und poetischem Schmus getarnte Verletzung von zu Opfern gemachten Menschen. Das muss explizit angesprochen werden.

1.1.2015

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