Sonntag, 12. August 2018

Sarah Bakewell - das Café der Existenzialisten (2016)

Sie wird jetzt auch alt und hat Ruhm und Wirkung verdient, den dieses Buch ihr hoffentlich beschert. Freiheit tut wieder einmal not.

Ich habe das Buch voll Spannung und mit Freude gelesen, obwohl ich als eher 68er den ganzen Existentialismus als kleinbürgerliche Zerstreuung abgehobener Geister betrachtete und daher nichts davon las.

Ihr erzählerischer Stil beseitigt die Aversion, die sich gegen trockene begriffliche Her- und Ableitungen eines chaotisch verschlungenen Denkens erhebt und war deshalb -entgegen der Meinung aus dem akademischen Sitzfleisch- genau das richtige, das Interesse an einer Philosophie des Eigensinns zu wecken.

Ich verdanke dem Buch

- ein Interesse am Gedankenleben der Existentialisten ab Sartre, Beauvoir, Camus und Ponty,

- ein Gefühl der Achtung gegenüber diesem philosophischen Versuch und damit verbunden

-ein Gefühl gestiegener Achtung gegenüber den vorgestellten Personen ( Heidegger ausgenommen).

Wer Lust am Denken und vor allem Selbstdenken hat, kaufe dieses Buch.

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Als einer der ein paar Jahre Lesen und Denken mehr auf dem Buckel hat, bleibt naturgemäß auch etwas Kritik, wie folgt. Das soll aber nichts von meiner dringenden Empfehlung nehmen!

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Kritik

Leider fällt die Psyche lieber auf bunte Worte herein als den schwarz - weiß - Zeichnungen der Philosophie nachzudenken. Ein barocker Hamann findet immer seine begeisterten Leser, ein trockener Kant wird stets mit wenigen Verstehen wollenden vorlieb nehmen müssen. Auch mich begeisterte ein Bloch mehr als ein Schopenhauer, der mich dann allerdings gegen Nietzsche immunisierte (Inzwischen ziehe ich -selbst zum Vergügen- einen Blues einer Pink-floyd- Symphonie vor.). Nur sehr wenige halten die Trennung zwischen poetischem Pathos und vernünftiger Kommunikation durch. Karl Kraus war einer der seltenen. Die meisten "großen Geister" vermischen irgendwann doch Erkennen und Wollen und geben den schlimmsten ideologischen Rattenfängern eine Wortflöte an die Hand, um Menschen in Material zu verwandeln.

Nach der Auflösung der Erkenntnisphilosophie durch Kant und seinen Übersetzer ins Verständliche Schopenhauer ist es sehr schwer, eigene Gedanken in die Öffentlichkeit zu tragen: man fürchtet doch sehr sich lächerlich zu machen.

Die Existenzialisten wagten das "denke selbst" und "lebe selbst" wieder. - Die bereits vorher versuchte Umstürzung der Philosophie durch Marx war eher der Versuch gewesen, sie unter statistischem Material zu begraben.

Heidegger als Begriffe ballender Schwazwaldsepp konnte im chaotischen Nachkriegsdeutschland des 1. Weltkriegs als Guru offensichtlich eine Menge romantisch schwingender Seelen ertönen lassen. Hier fand die Abkehr von der Philosophie statt, die Schopenhauer an die Wand gemalt hatte. Wagnerianische Verklebungen.

Sartre und der Pariser Tisch improvisierender Sucher fielen nicht darauf herein und trugen die Forderung nach eigenem Leben, Handeln und Denken wieder unter die Menschen.

Bakewell nun sucht ohne Zweifel einen romantischen Führer in die "Lichtung", welcher Begriff Kenner der philosophischen Geschichte an das Wort Schopenhauers zur "Erleuchtung" erinnern wird, nachdem es mit Erleuchtung ist wie mit allen Lichtern: einige Dunkelheit ist die Bedingung...

Romantisches Philosophiebegreifen: Wer ist nicht auf Nietzsche hereingefallen, der die Wortgewalt Schopenhauers mit eigener bunter Dichtung glücklich zu übertönen suchte? Die Hymne des Ego schreit seither das Fragen nach Erkenntnis recht poetisch nieder.

Verehrung, die das Denken stolpern läßt. (Arendt entschuldigt die Liebe, die ihr gleichfalls das Philosophieren verunmöglichte. Solche Klarheit im Politisch-Historidchen, soviel Verknotungen in der Philosophie.)

"Dann blickten die hohen Tannen voll erhabener Würde auf die Menschen hin" ( Seite 73 der Ausgabe bei der Büchergilde). Wie sich das Erhabene über die Menschenwürde erhebt!-

Heidecker im Krieg als Briefzensor (Seite 72). Hätte nicht bereits dieser Umstand einer Kontrollfunktion über die Gedanken anderer, genauso übrigens wie die Bewerbung des Arno Schmidt zur SS, sein philosophisches Treiben stärkstem Verdacht von Seiten der Vernunft aussetzen müssen?

Seite 360: "Ich war beeindruckt von seiner Betrachtung von Landschaften und Gebäuden und von dem Gedanken des Menschen als Lichtung, auf die das Sein hinaustritt. Heute spüre ich noch dieselbe magische Anziehungskraft."

Gedacht? Aber auch  s e l b s t gedacht?! In diesem Punkt nicht besonders existentialistisch.

Das Dilemma von Philosophie und Herrschaft beginnt schon bei Plato. Erkenntnis als Mittel der Herrschaft. Gott stürzen, aber Nietzsche hinterherkriechen. Ja man nimmt sogar mit Loden wie Heidegger vorlieb. Wenns  nur ein Führer ist! Kein Guru lächerlich genug.

Ich glaube nicht mehr an die intellektuelle Qualität meines Zeitalters. Bakewell ist bezüglich Heidegger eine weitere Bestätigung. Einen besonderen Vorwurf kann ich ihr nicht machen. Auch ich verehrte ohne nachzudenken. Z.b. Marx über die Maßen, ja ich glaubte Mao und Pol Pot.... Auch ich war eben Intellektueller dieser Zeit.

Man lese dieses Buch und beginne wieder selbst zu denken!

Klaus Wachowski 12.8.2018






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