Tao oder die Kunst, nicht unterscheiden zu können
Innen und Außen
Innen, das spüre ich,
Außen, das sehe ich.
Was ich vom Außen weiß,
Weiß ich vom Innen.
Bist Du nicht ein solches Ich wie ich?
Wohl anders, aber auch so.
Lao Tse, eine Art gut besoldeter Sloterdijk eines
Machtkiffers von Sezuan, begibt sich in die Welt. Die taoistischen (word
verbessert: maoistischen. Auch nicht schlecht) Sternsinger mit abgehackten
Füßen, einer war ungehorsam und frech, rufen „Heil, Heil!“
Es gibt sie, die Wahrheitstrompeter. Leute, die lieber
Autoritäten verehren als Nachbar*innen zu achten.
In jungen Jahren bin ich zum Beispiel aus Gerechtigkeitssinn auf die Wahrheiten des
Marx hineingefallen, den es selbst nach Autorität zog. Seine Wahrheit: Egoismus ist die in der Geschichte
herrschende Naturkraft, die Geschichte ist nichts als eine Folge von
Klassenkämpfen. Bei einseitiger Betrachtung stimmig, bei Betrachtung aller wirkenden
Kräfte kommt einem das dann seltsam vor. Fällt zum Beispiel jemand neben Dir
hin zeigt sich die persönliche Moral in der Menschlichkeit / Unbarmherzigkeit
deutlicher wirkend als das Handeln nach Klassenvorteil.
Oder später Schopenhauer, dessen erkenntnistheoretischen
Ergebnisse doch das Beste sind, was mir auf diesem Sektor untergekommen ist. Er
konnte unterscheiden. Aber auch er versteht nicht alles. So bleibt Liebe ihm
ein Rätsel (sie sei so etwas wie Mitleid!) wie auch Religion. Und seine
Aphorismen sind eben nicht mehr als das.
Schon früh habe ich das Tao-te-king gelesen.
Aus Wikipedia: „Moral ist Dürftigkeit Ein Mensch des Dao
lässt sowohl von persönlichen Wünschen und Begierden, als auch von
gesellschaftlich anerkannten Zielen und Regeln ab. Insofern versucht er auch
nicht mehr, moralisch gut zu sein. Moral ist bei Laozi bereits die Endstufe des
Verfalls der Motive: Ist der SINN [Dao] verloren, dann das LEBEN [De]. … dann
die Liebe. … die Gerechtigkeit. … die Sitte. Die Sitte ist Treu und Glaubens
Dürftigkeit und der Verwirrung Anfang. Erst wenn das Dao verloren sei, erfänden
die Menschen Sitten und Gebote, was sie noch weiter vom natürlichen Tun
entferne. Die Regierung soll dem nicht Vorschub leisten: Tut ab die
Sittlichkeit, werft weg die Pflicht, so wird das Volk zurückkehren zu
Kindespflicht und Liebe.“ Volk als Kind…
Nun: Und doch behauptest Du, den Weg zum Heil zu kennen:
Nicht handeln. Hätten die Menschen Deinem Ratschlag gefolgt, dann gäbe es heute
eine ungeheuer mächtige Schicht von Menschen- und auch - Tao-Verächtern - und
eine ungeheuer große von Geburt an in ein elendes Leben hinaussterbende Masse.
Gib Gott, was Gottes ist und dem Kaiser Alles, seinem
philosophierenden Beamten ein ordentliches Bakshish. Hätte es jemals eine
Republik gegeben, wenn die Menschen an die Weisheit auf dem Thron geglaubt
hätten? (Plato, auch so einer, der nicht immer recht unterscheiden kann.) Sie
haben sich von den Monologen der „Weisen“ aus den wohlversorgten Nebenzimmern
der Herrschaft nicht auf Dauer handlungsblöd halten lassen, sondern Parlament
und Mitsprache der Person eingefordert, statt sich der Willkür von Cliquen und
Familien der Macht zu unterwerfen. Sokrates: sehr gut! Aber unsere Demokratie
lassen wir uns nicht blöd fragen.
Ja: Auch die Dummheit und die Selbstzufriedenheit des Spießers
und das Redeprivileg des brav gehaltenen Asketen wirken mit Fake und
Aufgeblasenheit der Mißachtung von Not gegen die Naturkraft des menschlichen
Gewissens, gegen die Naturkräfte der Sehnsucht nach Freiheit und
Gerechtigkeitsgefühl. Herrschaft, Diktatur, ideologische Gehirnwäsche haben
viel in Hass und Verachtung gebrochene Hoffnung für und hinter sich. Aber der
Mensch ist nicht als Wolf, sondern als Person geboren und hört, mal verlockend,
mal gebieterisch den Ruf des menschlichen Gewissens eben nach Freiheit,
Gleichheit und Hilfsbereitschaft unter Menschen.
Die Gleichmut, mit der alles, was nach Intellekt und Bildung
aussah, umgebracht wurde (Pol Pot), umgebracht werden soll (Boku Haram) und in
die Kerker der Diktaturen der Sovjet-Nachfolge aussortiert werden, findet
sicherer als im überspitzten Wahn des Nietzsche in der Wurstigkeit des Taoismus
die passende Entsprechung. Oder sieh mal das faule Lob im Nobelpreis auf den
verzwirbelten Eigenbrödler Handke: einem, dem die Welt (ansonsten) so egal ist,
daß ihm die Selbstdarstellung als Größe wichtiger erscheint als die Reue für
serbischen Lobsprech angesichts Srebrenica.
Auch die Lehre des Tao mag zu mannigfaltiger Erlösung und
Erleuchtung befähigen: gegen die kritische Vernunft der Aufklärung, die erfahrungsgestützten
Empfehlungen der Stoa, die Menschlichkeit anmahnenden Grundätze mancher
Religion ist sie ein Räucherstäbchen im Geruchsorkan eines der vergangenen
Frühlinge, die hoffentlich -und vom Handeln der Menschen unterstützt– bald
wieder kommen werden.
*
Ein buddhistisches Rubbellos
Salon Prokalyvaniye Ushey
Der Straßenkehrer Juri Gagarilov aus Tokalinsk findet an der
bekannten Ecke des Salon Prokalyvaniye Uschej ein buddhistisches Rubbellos, in
dem ein Erleuchteter auf den Ausspruch des Lao Tse hinweist: :Kümmere Dich
nicht um Memorial, sondern erstrebe Weisheit in der Entrückung eines Riesling
von Socci."
Er flucht vor sich hin: "Könnten schon ein paar Gulden
mehr löhnen!" Der Zar trabt vorbei. Nackter Oberkörper, lustiges Lächeln,
schwarze Ork-Truppe voraus. An der Seite den Sultan Basar und der Kaiser der
Parteitriaden.
Der Straßenkehrer denkt: „Rubbish von allen Seiten!“
Unterscheiden können. Innen ist nicht Außen, nah nicht fern. Am falschen Ort
ist Weisheit ein Rubbellos, vornehme Enthaltung schäbige Unterlassung,
Unbarmherzigkeit und feige. Alles eins war vor dem Leben und wird nach ihm
sein. Jetzt muß ich die Straßenzeichen und die Spur vom Abfalleimer aus
unterscheiden können, wenn das Leben des Lebens wert sein soll.
Eine Sekte Impf-Hass tanzt vorbei: “Dau! Dau!, Chill mal,
Alter!“ Gagarinov zieht ab. Er nimmt sich vor, doch mal Popper oder Sokrates zu
lesen. Das scheint ihm besser in einem Leben, das gelebt und geliebt wird.
Und ich?! Was meine ich? Denke doch selber, aber denke!
Eine Methode, mit sich selbst ins Reine zu kommen und die
Welt zu erkennen, darf nicht genutzt werden, um Menschen zu einem bestimmten
Handeln zu überreden, insbesondere ist ins Ohr Trompeten schon von der
Lautstärke her Unrecht. Wir können es nicht immer vermeiden, haben aber
Menschen um uns herum,die uns -hoffentlich- berichtigen. In einem englischen
Podcast über Popper glaube ich zu verstehen, daß der die großen, also die
verehrten philosophischen und religiösen Systeme für fehlerbehaftet deshalb
hielt, weil sie im Ende nur der Autorität zu dienen bestimmt waren. Beim
Taoismus scheint mir das leider, leider zuzutreffen.
6.1.2022
*
Mit Recht hat eine Freundin darauf hingewiesen, daß Kunst,
Philosophie und alles, was der Person über das Überleben hinaus wichtig ist,
allen Nutzen geradezu ausblenden muß, wenn es etwas werden soll.
Daß der Mensch nicht vom Brot allein (wer hat das nochmal
gesagt?), also nach Tao nicht vom Nutzen allein lebt, ist wohl Teil aller
Denksysteme. -Der/die Intellektuelle, die sich selbst das Wasser abgraben, muß
noch geboren werden -. Aber die Menschen leben und überleben schon zur
Hauptsache davon, auch mal von einem Stück Fleisch. Übel ist, sie für dieses
Angewiesen sein zu verachten. Das tut aber das Tao im Gleichnis von der alten
Eiche.
Statt den Weg des Tao empfehle ich, einmal den folgenden
auszuprobieren:
Weg
Eigner Weg,
krummer Weg;
schweres Herz,
Mond schon schräg.
Hast du einen Kummer lang:
sei nicht bang!
Eigner Weg,
schwerer Weg;
deinen Kopf
an meinen leg.
Zarathustra grinst uns an,
spuckt in unsre Bahn.
Eigner Weg
kreuzt den Weg;
laß uns reden
nacht und tag.
Hast du einen Kummer lang:
Geh mit mir den eignen Gang.
Klaus Wachowski
(nachbearbeitet 1998)
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