Donnerstag, 6. Januar 2022

Tao, die Kunst, nicht unterscheiden zu wollen

Tao oder die Kunst, nicht unterscheiden zu können

Innen und  Außen

Innen, das spüre ich,

Außen, das sehe ich.

Was ich vom Außen weiß,

Weiß ich vom Innen.

Bist Du nicht ein solches Ich wie ich?

Wohl anders, aber auch so.

 

Lao Tse, eine Art gut besoldeter Sloterdijk eines Machtkiffers von Sezuan, begibt sich in die Welt. Die taoistischen (word verbessert: maoistischen. Auch nicht schlecht) Sternsinger mit abgehackten Füßen, einer war ungehorsam und frech, rufen „Heil, Heil!“

 

Es gibt sie, die Wahrheitstrompeter. Leute, die lieber Autoritäten verehren als Nachbar*innen zu achten.

In jungen Jahren bin ich zum Beispiel  aus Gerechtigkeitssinn auf die Wahrheiten des Marx hineingefallen, den es selbst nach Autorität zog. Seine Wahrheit:  Egoismus ist die in der Geschichte herrschende Naturkraft, die Geschichte ist nichts als eine Folge von Klassenkämpfen. Bei einseitiger Betrachtung stimmig, bei Betrachtung aller wirkenden Kräfte kommt einem das dann seltsam vor. Fällt zum Beispiel jemand neben Dir hin zeigt sich die persönliche Moral in der Menschlichkeit / Unbarmherzigkeit deutlicher wirkend als das Handeln nach Klassenvorteil. 

Oder später Schopenhauer, dessen erkenntnistheoretischen Ergebnisse doch das Beste sind, was mir auf diesem Sektor untergekommen ist. Er konnte unterscheiden. Aber auch er versteht nicht alles. So bleibt Liebe ihm ein Rätsel (sie sei so etwas wie Mitleid!) wie auch Religion. Und seine Aphorismen sind eben nicht mehr als das.

Schon früh habe ich das Tao-te-king gelesen.

 

Aus Wikipedia: „Moral ist Dürftigkeit Ein Mensch des Dao lässt sowohl von persönlichen Wünschen und Begierden, als auch von gesellschaftlich anerkannten Zielen und Regeln ab. Insofern versucht er auch nicht mehr, moralisch gut zu sein. Moral ist bei Laozi bereits die Endstufe des Verfalls der Motive: Ist der SINN [Dao] verloren, dann das LEBEN [De]. … dann die Liebe. … die Gerechtigkeit. … die Sitte. Die Sitte ist Treu und Glaubens Dürftigkeit und der Verwirrung Anfang. Erst wenn das Dao verloren sei, erfänden die Menschen Sitten und Gebote, was sie noch weiter vom natürlichen Tun entferne. Die Regierung soll dem nicht Vorschub leisten: Tut ab die Sittlichkeit, werft weg die Pflicht, so wird das Volk zurückkehren zu Kindespflicht und Liebe.“ Volk als Kind…

Nun: Und doch behauptest Du, den Weg zum Heil zu kennen: Nicht handeln. Hätten die Menschen Deinem Ratschlag gefolgt, dann gäbe es heute eine ungeheuer mächtige Schicht von Menschen- und auch - Tao-Verächtern - und eine ungeheuer große von Geburt an in ein elendes Leben hinaussterbende Masse.

Gib Gott, was Gottes ist und dem Kaiser Alles, seinem philosophierenden Beamten ein ordentliches Bakshish. Hätte es jemals eine Republik gegeben, wenn die Menschen an die Weisheit auf dem Thron geglaubt hätten? (Plato, auch so einer, der nicht immer recht unterscheiden kann.) Sie haben sich von den Monologen der „Weisen“ aus den wohlversorgten Nebenzimmern der Herrschaft nicht auf Dauer handlungsblöd halten lassen, sondern Parlament und Mitsprache der Person eingefordert, statt sich der Willkür von Cliquen und Familien der Macht zu unterwerfen. Sokrates: sehr gut! Aber unsere Demokratie lassen wir uns nicht blöd fragen.

Ja: Auch die Dummheit und die Selbstzufriedenheit des Spießers und das Redeprivileg des brav gehaltenen Asketen wirken mit Fake und Aufgeblasenheit der Mißachtung von Not gegen die Naturkraft des menschlichen Gewissens, gegen die Naturkräfte der Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeitsgefühl. Herrschaft, Diktatur, ideologische Gehirnwäsche haben viel in Hass und Verachtung gebrochene Hoffnung für und hinter sich. Aber der Mensch ist nicht als Wolf, sondern als Person geboren und hört, mal verlockend, mal gebieterisch den Ruf des menschlichen Gewissens eben nach Freiheit, Gleichheit und Hilfsbereitschaft unter Menschen.

Die Gleichmut, mit der alles, was nach Intellekt und Bildung aussah, umgebracht wurde (Pol Pot), umgebracht werden soll (Boku Haram) und in die Kerker der Diktaturen der Sovjet-Nachfolge aussortiert werden, findet sicherer als im überspitzten Wahn des Nietzsche in der Wurstigkeit des Taoismus die passende Entsprechung. Oder sieh mal das faule Lob im Nobelpreis auf den verzwirbelten Eigenbrödler Handke: einem, dem die Welt (ansonsten) so egal ist, daß ihm die Selbstdarstellung als Größe wichtiger erscheint als die Reue für serbischen Lobsprech angesichts Srebrenica.

Auch die Lehre des Tao mag zu mannigfaltiger Erlösung und Erleuchtung befähigen: gegen die kritische Vernunft der Aufklärung, die erfahrungsgestützten Empfehlungen der Stoa, die Menschlichkeit anmahnenden Grundätze mancher Religion ist sie ein Räucherstäbchen im Geruchsorkan eines der vergangenen Frühlinge, die hoffentlich -und vom Handeln der Menschen unterstützt– bald wieder kommen werden.

*

Ein buddhistisches Rubbellos

Salon Prokalyvaniye Ushey

 

Der Straßenkehrer Juri Gagarilov aus Tokalinsk findet an der bekannten Ecke des Salon Prokalyvaniye Uschej ein buddhistisches Rubbellos, in dem ein Erleuchteter auf den Ausspruch des Lao Tse hinweist: :Kümmere Dich nicht um Memorial, sondern erstrebe Weisheit in der Entrückung eines Riesling von Socci."

Er flucht vor sich hin: "Könnten schon ein paar Gulden mehr löhnen!" Der Zar trabt vorbei. Nackter Oberkörper, lustiges Lächeln, schwarze Ork-Truppe voraus. An der Seite den Sultan Basar und der Kaiser der Parteitriaden.

Der Straßenkehrer denkt: „Rubbish von allen Seiten!“ Unterscheiden können. Innen ist nicht Außen, nah nicht fern. Am falschen Ort ist Weisheit ein Rubbellos, vornehme Enthaltung schäbige Unterlassung, Unbarmherzigkeit und feige. Alles eins war vor dem Leben und wird nach ihm sein. Jetzt muß ich die Straßenzeichen und die Spur vom Abfalleimer aus unterscheiden können, wenn das Leben des Lebens wert sein soll.

Eine Sekte Impf-Hass tanzt vorbei: “Dau! Dau!, Chill mal, Alter!“ Gagarinov zieht ab. Er nimmt sich vor, doch mal Popper oder Sokrates zu lesen. Das scheint ihm besser in einem Leben, das gelebt und geliebt wird.

Und ich?! Was meine ich? Denke doch selber, aber denke!

Eine Methode, mit sich selbst ins Reine zu kommen und die Welt zu erkennen, darf nicht genutzt werden, um Menschen zu einem bestimmten Handeln zu überreden, insbesondere ist ins Ohr Trompeten schon von der Lautstärke her Unrecht. Wir können es nicht immer vermeiden, haben aber Menschen um uns herum,die uns -hoffentlich- berichtigen. In einem englischen Podcast über Popper glaube ich zu verstehen, daß der die großen, also die verehrten philosophischen und religiösen Systeme für fehlerbehaftet deshalb hielt, weil sie im Ende nur der Autorität zu dienen bestimmt waren. Beim Taoismus scheint mir das leider, leider zuzutreffen.

 

6.1.2022

 

 

*

Mit Recht hat eine Freundin darauf hingewiesen, daß Kunst, Philosophie und alles, was der Person über das Überleben hinaus wichtig ist, allen Nutzen geradezu ausblenden muß, wenn es etwas werden soll.

Daß der Mensch nicht vom Brot allein (wer hat das nochmal gesagt?), also nach Tao nicht vom Nutzen allein lebt, ist wohl Teil aller Denksysteme. -Der/die Intellektuelle, die sich selbst das Wasser abgraben, muß noch geboren werden -. Aber die Menschen leben und überleben schon zur Hauptsache davon, auch mal von einem Stück Fleisch. Übel ist, sie für dieses Angewiesen sein zu verachten. Das tut aber das Tao im Gleichnis von der alten Eiche.

Statt den Weg des Tao empfehle ich, einmal den folgenden auszuprobieren:

 

Weg

 

Eigner Weg,

krummer Weg;

schweres Herz,

Mond schon schräg.

Hast du einen Kummer lang:

sei nicht bang!

 

Eigner Weg,

schwerer Weg;

deinen Kopf

an meinen leg.

Zarathustra grinst uns an,

spuckt in unsre Bahn.

 

Eigner Weg

kreuzt den Weg;

laß uns reden

nacht und tag.

Hast du einen Kummer lang:

Geh mit mir den eignen Gang.

 

Klaus Wachowski

(nachbearbeitet 1998)

 

 

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