Sonntag, 2. Januar 2022

Der alte Eichbaum

Ein alter taoistischer Text, der scheinbar häufig und abgewandelt dargestellt wird, hat mich interessiert. Etwas älter als in früheren Jahren ist es mit der Begeisterung nicht mehr so leicht. 
Die Erkenntnis, dass alles eins ist, ineinander fällt, muss ja nicht in die Folgerung "alles ist eitel" münden oder in die des besagten Textes. Ich sehe in ihm das Dilemma des Intellektuellen schon im alten China. Offensichtlich gab es dort nur zwei moralisch bedenkliche Entscheidungen: als "Held" dem Kaiser zu dienen oder als "weiser" Narr Eremit oder "Meister" des Unnützen zu werden. Die sogenannte innere Emigration wird wohl hier empfohlen. Angstvhölle des alten China als Hort der Weisheit.

Zu einer Revolution wie etwa in Athen oder Rom reichte es noch nicht. Die Erkenntnis selbst ist schön umschrieben, die Folgerung muss auch ein/e Taoist/in nicht teilen. 

Nach einem Gleichnis, in dem Nichtleiden und Nichtfreude, Nichthandeln und Nichtsehnen als Weg gegenüber dem auf Nutzen ausgerichteten Leben empfohlen werden, äussert sich der alte Baum gegenüber den verächtlichen Schreiner: 

"Mit was für Bäumen möchtest du mich denn vergleichen? Willst du mich vergleichen mit euren Kulturbäumen wie Weißdorn, Birnen, Orangen, Apfelsinen, und was sonst noch Obst und Beeren trägt? Sie bringen kaum ihre Früchte zur Reife, so misshandelt und schändet man sie. Die Äste werden abgebrochen, die Zweige werden geschlitzt. So bringen sie durch ihre Gaben ihr eigenes Leben in Gefahr und vollenden nicht ihrer Jahre Zahl, sondern gehen auf halbem Wege zugrunde, indem sie sich selbst von der Welt solch schlechte Behandlung zuziehen. So geht es überall zu. Darum habe ich mir schon lange Mühe gegeben, ganz nutzlos zu werden.

Sterblicher! Nun habe ich es so weit gebracht, dass mir das vom größten Nutzen ist. Nimm an, ich wäre zu irgend etwas nütze, hätte ich dann wohl diese Größe erreicht? Und außerdem, du und ich, wir sind beide gleichermaßen Geschöpfe. Wie sollte ein Geschöpf dazu kommen, das andere von oben her beurteilen zu wollen! Du, ein sterblicher, unnützer Mensch, was weißt denn du von unnützen Bäumen!"

(aus "Das wahre Buch vom südlichen Blütenland (Taoistische Klassiker 1)" von Zhuang Zi, Dschuang Dsi, Guido Keller, Richard Wilhelm) bei Amazon.



Antwort des Weißdorns in 7 Gedanken:

1. Auch Du trägst Früchte: süße und faule Weisheit.
2. Der Mensch sei dem Menschen wert. Was dein "Sinn" oder Gott davon hält, kann nicht wertvoller sein.
3. Frucht tragen und geben erfüllt - auch von und mit Dir.
4. Wie dem Glück das Leid, so steht dem Leid das Glück gegenüber.
5. Die Bilanz mag schlecht sein. Sie ist zumindest ebenso gut wie nichts tun, nichts leiden, nichts helfen.
6. Du rätst ab? Lass es uns ausprobieren!
7. Du hast die Liebe vergessen, ich komme von einem Grab."

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