Die Zeit
Ein
Beitrag von Maxim Biller
„Die "neue" Linke
Ist es schon wieder so weit? Als
hätten sich die 68er nicht schon genug blamiert. Von Maxim Biller“
Ärgert mich natürlich. Bin zwar kein 68er, aber nah
dran.
Bei wem will er denn nach Beifall
fischen?
*
Dann sehe ich in den Spiegel. Ich
bin ein anderes als das, was er schimpft. Anders sehen...
*
Ich habe mich lange geärgert, daß einer, der keine
Erfahrung von 68 haben kann, dermaßen auf erfahren macht und schimpft.
Was für 68er hat er denn gekannt? Eben die, von
denen die 68er sich schon in den 70ern getrennt haben und umgekehrt. Für den
80er scheint die Zeit zu kommen, seine Sache doch jetzt endlich von den älteren
Leuten zu trennen, die tatsächlich längst Betriebswirte an bestem Kader des
Aktienmarktes oder Kulturnepoten geworden sind oder an anderer Stelle höherer
Stammtische die Haltung der Brotherhood of men, freedom and justice, an ein
anderes verlogenes Elitegenießen vom Wir verraten haben. Sie werden jetzt in
Pension gegangen.
Er müßte von seinem Roß Ich-Ich produzierender
Freiheit steigen und auch dem Maultier Gerechtigkeit ein Plätzchen auf seiner
Meinungsspalte lassen. Die perhorreszierten Diktatoren von links -und rechts-
können ihren Platz ja nur einnehmen, weil das Liberale sich zu fein ist, wenigstens
etwas mehr Steuern zu zahlen, um dem Nachbarn etwas Erleichterung von der Not
zu schaffen, etwas Luft zum abwägenden Denken. Ja, die Prekären wehren sich,
trommeln und rufen zur Sammlung.
Geschimpft genug. Jetzt wäre es doch an der Zeit, zu
schauen und vor dem Schimpfen- nachzudenken...
Wovon redet er? Überall lagern die Fettmassen der
Wellness und stricken germanisch-romantische Bärbel am Weg warme Socken faulender
Erinnerung. Und die auf alternativ geblasene Kneipe, die ihm offensichtlich
Spiegel der Welt ist, schwimmt auf dem gesellschaftlich geduldeten Elend wie
die im Unbegreifen sich zudröhnende Avantgarde der 20er.
Die Wut seines Witzes haben wir unserer damaligen
Arroganz gegen die noch kindlichen Jugendlichen und gegen die Ostflüchtlinge zu
verdanken, die aus der Erfahrung mit unseren geflüchteten Eltern stammte. Sie
schienen seltsam, naiv und unreif. Heute erscheint ihm unsere Einschätzung so.
Die Warnung vor den neuen Kadern: Wo ist das Publikum, das hier noch neue
Erkenntnis findet? Mich erreicht sie als ein Eh-schon-besser-wissen aus dem
Grill Royal einer auf Jugendstil ausgebauten Russendisko.
68er und 70er ziehen in die
Seniorenpforte. Ob die Enkel es besser ausfechten? Und was denn?
*
Vielleicht ist es aber auch so zu
verstehen: Der Ruf der 68er ist so wenig zu zerstören wie der von 1848, oder
der ersten bürgerlichen Revolutionen, die auch massenhaft Unrecht und Leid
gebaren. Irgendwie muß die Romantik ihren Anspruch gegen den Ruhm der Aufklärung
behaupten. Sie hat ordentlich Recht, ist aber eben doch – Romantik: Schlechtes
Gewissen für dolce far niente bezüglich der Not -etwa der von Flüchtlingen- mit
Sehnsucht nach autoritären Lösungen mixen. Liberalität unter dem Schutz der
Jovialität.
*
Das war jetzt stark unfair gegen unfair. Half, den
Zorn herunter zu kochen.
Aber es ist doch auch so zu
sehen:
We were
young and strong and running against the wind.
Sie waren daran gehindert. So rannten sie gegen uns
an.
Schon okay:
N'oubliez jamais!
1.8.16 Klaus Wachowski
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