Montag, 1. August 2016

Biller an 68



Die Zeit
Ein Beitrag von Maxim Biller

„Die "neue" Linke
Ist es schon wieder so weit? Als hätten sich die 68er nicht schon genug blamiert. Von Maxim Biller“

Ärgert mich natürlich. Bin zwar kein 68er, aber nah dran.
Bei wem will er denn nach Beifall fischen?
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Dann sehe ich in den Spiegel. Ich bin ein anderes als das, was er schimpft. Anders sehen...
*
Ich habe mich lange geärgert, daß einer, der keine Erfahrung von 68 haben kann, dermaßen auf erfahren macht und schimpft.
Was für 68er hat er denn gekannt? Eben die, von denen die 68er sich schon in den 70ern getrennt haben und umgekehrt. Für den 80er scheint die Zeit zu kommen, seine Sache doch jetzt endlich von den älteren Leuten zu trennen, die tatsächlich längst Betriebswirte an bestem Kader des Aktienmarktes oder Kulturnepoten geworden sind oder an anderer Stelle höherer Stammtische die Haltung der Brotherhood of men, freedom and justice, an ein anderes verlogenes Elitegenießen vom Wir verraten haben. Sie werden jetzt in Pension gegangen.
Er müßte von seinem Roß Ich-Ich produzierender Freiheit steigen und auch dem Maultier Gerechtigkeit ein Plätzchen auf seiner Meinungsspalte lassen. Die perhorreszierten Diktatoren von links -und rechts- können ihren Platz ja nur einnehmen, weil das Liberale sich zu fein ist, wenigstens etwas mehr Steuern zu zahlen, um dem Nachbarn etwas Erleichterung von der Not zu schaffen, etwas Luft zum abwägenden Denken. Ja, die Prekären wehren sich, trommeln und rufen zur Sammlung.
Geschimpft genug. Jetzt wäre es doch an der Zeit, zu schauen und  vor dem Schimpfen- nachzudenken...
Wovon redet er? Überall lagern die Fettmassen der Wellness und stricken germanisch-romantische Bärbel am Weg warme Socken faulender Erinnerung. Und die auf alternativ geblasene Kneipe, die ihm offensichtlich Spiegel der Welt ist, schwimmt auf dem gesellschaftlich geduldeten Elend wie die im Unbegreifen sich zudröhnende Avantgarde der 20er.
Die Wut seines Witzes haben wir unserer damaligen Arroganz gegen die noch kindlichen Jugendlichen und gegen die Ostflüchtlinge zu verdanken, die aus der Erfahrung mit unseren geflüchteten Eltern stammte. Sie schienen seltsam, naiv und unreif. Heute erscheint ihm unsere Einschätzung so.
Die Warnung vor den neuen Kadern:  Wo ist das Publikum, das hier noch neue Erkenntnis findet? Mich erreicht sie als ein Eh-schon-besser-wissen aus dem Grill Royal einer auf Jugendstil ausgebauten Russendisko.
68er und 70er ziehen in die Seniorenpforte. Ob die Enkel es besser ausfechten? Und was denn?
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Vielleicht ist es aber auch so zu verstehen: Der Ruf der 68er ist so wenig zu zerstören wie der von 1848, oder der ersten bürgerlichen Revolutionen, die auch massenhaft Unrecht und Leid gebaren. Irgendwie muß die Romantik ihren Anspruch gegen den Ruhm der Aufklärung behaupten. Sie hat ordentlich Recht, ist aber eben doch – Romantik: Schlechtes Gewissen für dolce far niente bezüglich der Not -etwa der von Flüchtlingen- mit Sehnsucht nach autoritären Lösungen mixen. Liberalität unter dem Schutz der Jovialität.
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Das war jetzt stark unfair gegen unfair. Half, den Zorn herunter zu kochen.
Aber es ist doch auch so zu sehen:
We were young and strong and running against the wind.
Sie waren daran gehindert. So rannten sie gegen uns an.
Schon okay:
N'oubliez jamais!
1.8.16 Klaus Wachowski

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