Dienstag, 26. Juli 2022

Enquist

"Die Geschichte, die der Mann, der jetzt im Außenministerium die Dankesrede hielt, erzählt hatte, handelte Von seinem Dienst im deutschen Polizeihauptquartier in Riga während der deutschen Besetzung. Er hatte eine Schreibtischtätigkeit gehabt und sollte aus Namenlisten diejenigen heraussuchen, die Kommunisten oder Juden waren und interniert werden
sollten, oder was sonst mit ihnen passieren sollte. Auf jeden
Fall hatte sein deutscher Chef zu ihm gesagt Du sitzt bei mir mit deinen Papieren. Aber du musst auch lernen, mit einem Gewehr umzugeben, wir haben Krieg. Und er hatte gelacht und gesagt nein, ich kann nicht mit einem Gewehr umgchen. Ich schieße unsagbar schlecht. Aber sein deutscher Chef hatte
gesagt Du kannst es lemen! Aber dann musst du lernen, auf beweglicbe Ziele zu schießen. Nicht nur auf Zielscheiben.
Ich kann ein paar Juden besorgen, hatte er gesagt, und dann kannst  du üben, auf laufende Juden zu scbießen."

Olov Enquist
Und was empfindet er?

"Keine Erregung, keine Freude, nur eine Art friedlicher Ruhe, Schuld oder Unschuld, die Gesichter der Menschen sind am Ende nur menschlich, wie seins vielleicht. Das ist seine Empfindung."

Ich dagegen empfinde Zorn gegen so pietistische Schamlosigkeit des friedlichen Blicks:

Der lettischen SS-Mann hatte doch Menschen zur Vernichtung aussortiert wie der "Humanist" Carlo Schmid, der in Lille Franzosen zum Tod verurteilte.

Der Blick weg von den Opfern: Ist das der Blick des Friedens? Hätte es gegen die ausgelieferten Baltischen SS-Leute nach ihrer Rettung vor den Sovjets nicht Untersuchungen geben müssen? So klar wie eine Beschäftigung der SPD mit ihrem Humanisten Carlo Schmid! Was auch nie geschah.

Jesus nimmt die Reuelosen nicht mit in den Himmel, mein "kritischer" pietistischer Weggucker! Na ja, war ja auch nur ein Mensch in Gottesgestalt. Der Freifühler kann da schon mal über das Gewissen hinaus zuschauen. Im Spiegel der Prügel des Wachmanns, die Instrumente des SS-Arztes.

Und da kommt mir auch noch die Pol Pot- Sache hoch, für die er zwar seine ehrenwerten Motive benennt und als "Fehler" tadelt, für deren Wirkung er aber kein Zeichen der Reue, (zu spät gekommenes, aber fühlbares Mitleiden,) niederschreibt.

Mein Problem: ich hätte in meinem Leben schon gerne jemand*in an meiner Seite gehabt, dessen/deren Schriften ich ohne die Anstrengung moralischer Kontrolle hätte lesen können. Ich brauche zwar keine moralische Anleitung, das macht schon das schlechteGewissen, will aber auch nicht andauernd nachprüfen müssen...

Ich selbst bin auch nicht besser. Dieses Wissen hilft nicht beim Auftauchen von Gleichgültigkeit in anderen Texten.

Es geht eben um Dich, mein Bruder, meine Schwester... Literatur und Kunst sind leider keine sicheren Orte für die Gerechtigkeit. Lies weiter und sei auch da auf der Hut!

26.7.22

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