Donnerstag, 10. Februar 2022

Hannah Arendt und 68

Sie glaubte nicht daran, was 68 vor allem war: Befreiung der Person. Die ideologische Avantgarden der "Bewegung" konnten mit ihren Herrschaftsvorstellungen, vor denen Arendt warnte, die Jugend der Welt nicht von ihrem Weg in eine erste umfassende Achtung der Person abbringen. In der neuen Republik  bestand zum Beispiel in der BRD und USA der eigentliche Erfolg der 68er Revolution. Deren Berechtigung sich aus den Liedern der Pop- und Folkkultur und im Nachhinein aus Hannah Arendt erlesen ließ. Und in der Bemühung in einer Personenzentrierten Erziehung zuerst und weltweit zu erkennen war. Während China bis heute "weltlos" in der Diktatur versinkt.

Arendt vermutete In der Befreiung des schwarzen Amerikas (unter dem damals niemand etwas anderes als USA verstand) eine umgekehrte rassistische Bewegung. Und tatsächlich gab es in NY schwarze "Aufstände" gegen Juden. 

Da war sie tatsächlich verbohrt. 

Aber sie schrieb weniger "weiß", nämlich weniger autoritär als manches, was sich jetzt besonders frei geriert.

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Anlass dieser Erwiderung gegen Unbekannt war ein Interview mit der Berliner Professorin Julia Rebentisch, von der ich soviel gehört habe wie sie von mir, in der sz. Wo mich vor allem eins ärgerte: die Vokabel "Säulenheilige" zu Hannah Arendt. 

Die Generation Narziß zum Personenkult?

Ich will nicht den Fehler machen wie Arendt, beim Heraufkommen einer neuen Bewegung das Bewährte mit vorschnellen Urteilen zu bewahren zu suchen. Aber meine Säulenheilige möchte ich doch gegen Unfairness in Schutz nehmen. Sie steht nun wirklich nicht für den esoterischen Heiligenkult einer sektenstrengen Gläubigkeit in der Politik. Mir und vielen anderen, vor allem aus der DDR sich wurstelnden, Ideologen erleichterten die Schriften Hannah Arendts den Zugang zur und die Rückkehr in die Republik. Wo niemand vergleichbar klares zu bieten hatte. Das war in den späten 80ern, frühen 90ern. Ich erinnere mich noch lebhaft an die Diskussionen von sogenannten Experten/Expertinnen (Damals gab es noch keine Expert*innen) in Zürich, die Arendt noch sozialistisch, oder war es Richtung CDU? zu wenden versuchten. - Wie meine Wahrnehmung so weit zurück zwischen den Wichtigkeiten schwankt! 

Es ärgert natürlich, wenn jemand - und sei es mit größerer Klugheit - diesen Umstand mit einem ironischen Nebensatz wegwischt. Ich war und bin nicht weniger schnippisch, ärgere mich trotzdem.

Natürlich frage ich in Wikipedia nach, wer das wohl ist. Sie kommt aus der Kunst. Das muss in politischen Dingen kein Fehler sein. Auch ich schrieb vor vierzig oder fünfzig Jahren -mein Gott, den ich irgendwie wieder glaube, wie alt ich bin!- aus der Kunst hinaus gegen das "Unpolitische" in der Kunst an. Manche/ r, nicht Allzuviele, im alten Verein werden sich an den "eiskalten Intellektuellen" fragend erinnern. 

Eine*r meiner 4-9 Säulenheiligen, Karl Kraus, lehrte mich vor allem eins: Unterscheiden zwischen der Sphäre der Weltbetrachtung und der des zwischenmenschlichen Urteilens und Handelns. Misstrauen gegen die Kunst in politischen Dingen, die aus einer Weltbetrachtung plötzlich in eine Weltanschauung fließt und den klaren Blick und das zwischenmenschliche Handeln mit Wagner - oder Cream zudonnert, das Forum mit Megaphonen für Herrschaft präpariert.

Hannah Arendt ist zu Zeiten des Bussing tatsächlich der Verführung erlegen, aus den Erkenntnissen der Vergangenheit auf Zukunftsfragen zu spekulieren, ohne die Vergleichbarkeit der Motivationen zu prüfen. Das habe ich bei meinen Diskussionen über sie gerne nicht erwähnt. Den Unterschied zwischen europäischem Antisemitismus und weißem, schwarzem, gelbem, arabischem ppp. Rassismus heraus zu arbeiten ist meines nicht sehr großen Wissens nach noch nicht unternommen worden. 

Diese politischen Mängel wie die erkenntnistheoretischen Verzwirbelungen in den philosophischen Versuchen bei Hannah Arendt, die vielleich vom Heideggerschen Quark beeinflusst sind,  lasse ich ebenso gerne unerwähnt wie die Ahnungslosigkeiten meines weiteren Säulenheiligen Arthur Schopenhauer in konkret menschlichen Dingen, die in den Aphorismen so naja daherkommen, insbesondere bezüglich Liebe und Politik, während ich ihn ganz vorne in meinen vierfach verwurzelten Tempel der Erkenntnisphilosophie stelle und am liebsten seine einzige religiös-antisemitische Ausfälligkeit vergessen würde. 

Aber ich habe nicht ernsthaft vor, mich in meinem Alter gegen eine nicht mehr ganz so junge Jugend wie die der Generation nach mir zu wehren, als handle es sich um die Verteidigung der Republik gegen Trumpisten oder Leninisten. Diese Leute mögen Recht behalten, so lange sie die Rezeption meiner Säulenheiligen nicht dumm reden, zu denen auch noch Jean Paul und Virginia Woolf gehören. Ein Alter vom Beton-Handke oder der Barockbommel vom Bodensee möchte ich nicht werden. Vielleicht hat die Frau von Kunst und Installation ja wirklich Erhellendes geschrieben, wobei zur Erleuchtung bekanntlich einige Dunkelheit die Bedingung ist (Schopenhauer*).

*mit dem ich zumindest eines teile: den leeren Raum, in den meine Gedanken fallen.

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Ich gehe durch die Straßen von X, trinke einen günstigen Crema, schreibe mite etwas aus dem Sinn und denke dankbar, dass ich nicht heim kommen muss zu den Schlägen eines Vaters, zum Schimpfen  einer Mutter. Das waren ja so die Familienwerte, die in unserer Zeit in fast allen Familien exerziert wurden. Philipp Moritz und wohl auch Jean Paul bemerkten solches Erleiden von Kindern vor 200 Jahren noch kaum. Anton Reiser jedenfalls nimmt die Schläge von Vater und Mutter ohne tiefer gehende Erwähnung hin. Was ihn aber sehr hinab zieht, ist die Szene, in der er den Korb mit Hüten zum Zeughaus tragen muss. Während er mit gebeugtem Rücken "unterjocht" hinter seinem allmächtigen, frei einherschreitenden Lehrherrn herlaufen muss, fühlt er sich von allen Passanten beobachtet und ausgelacht. 

Das Aufbegehren der 68er gegen die Gefängnisse von autoritärer Familie und Tradition im Lodenmantel konnte Hannah Arendt wohl nicht nachvollziehen. War doch gerade ein teuflischer Wahn mit Glück gestoppt worden. So gingen die junge Revolution der Person und ihre Begründung aneinander vorbei. Und der Marsch von Martin Luther King, die Befreiung aus einer gesellschaftlichen, rassistisch begründeten Unterdrückung erfolgte in eine neue Republik. 

Heute früh die Meldung über Aufmärsche am der ukrainischen Grenze. Wie kann sich ein Diktator halten? Doch auch, weil in seinem Land das Prügeln weiter eine ganz normale Sache ist. Und erst China!
12.2.22
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